CHRISTIAN: 24. Oktober 2014
Als ich jünger war, sagte man mir mal, dass wir Menschen dazu neigen, uns Ventile für Enttäuschungen zu suchen. Ich hab lange nicht verstanden, was solche Ventile sein sollten und hab mich in Stresssituationen in Prügeleien gebracht, die mit Krankenhausaufenthalten endeten.
Dann bin ich zum FBI gegangen.
Oliver hat mir immer das Gefühl gegeben, das wäre das Ventil, das ich gesucht habe: Das Richtige zu tun, in dem ich Leute stelle, die sich das falsche Ventil gesucht haben. Er hat mich immer darin bestärkt, etwas Gutes tun zu wollen. Hat mich aufgebaut.
Er war mein Freund. Einer meiner engsten Vertrauten. Wir kannten einander gut, ohne jemals darauf bestehen zu müssen. Wir haben uns nicht gegenseitig aus dem Loch gezogen, aber wir konnten einander genug motivieren, damit wir selber aus der Dunkelheit wieder hochwollten. Er hat mich angespornt, besser zu werden und mich nie denken lassen, dass es reichen würde. Nach einem Schritt, kommt immer der zweite. Der erste ist schwer, aber danach wird es nur noch leichter.
Letzte Woche starb einer meiner besten Freunde. Ich bin erschüttert. Fassungslos.
Ich stehe in der kolossalen Schuld, ihm mein Leben zu verdanken, dabei hat er seines ebenso sehr verdient wie ich meines. Sein Verlust war ein Akt grausamer Leichtsinnigkeit, die wir einander nicht vergessen, doch, wie ich hoffe, vergeben können. Ich möchte, so lange ich es kann, mich nicht wieder in falsche Ventilvorstellungen werfen lassen und mich an das halten, was mir von ihm beigebracht wurde. Man kann nie oft genug das Richtige tun. Man kann nicht einfach aufhören wollen, das Richtige zu tun. Der erste Schritt ist schwer. Danach wird es nur noch leichter.
Ich denke an die Dinge, die ich anfügen könnte: Ich versuche immer noch das Richtige zu tun. Das Richtige zu tun, ist ein schmaler Grat. Wir müssen mit den Dingen leben, die uns widerfahren, aber wir können sie erträglich für uns machen. Manchmal müssen wir an unsere Grenzen gehen. Manchmal müssen wir darüber hinausgehen. Manchmal wird das nicht genug sein.
Aber ich stehe da und zerbrösle vor den Menschen, kann mich nicht rühren, gelähmt von dem Fakt, dass neben mir sein Sarg steht und er da drin liegt.
Die Luft wird knapp: Ich ächze. Er ist tot. Er ist echt tot.
»Chris. Hey, ist gut.« Danny steht plötzlich neben mir, seine Stimme tröpfelt zu mir hindurch. Ich versuche, reinzulassen, was er gesagt hat. Versuche, zu verstehen, dass ich nie mehr dahin zurückkann, wo ich letzte Woche noch gewesen bin.
Irgendwie kriege ich mich doch in Bewegung. Meine Hände beben und ich fühle mich selbst nicht mehr, als ich die Stufen runtersteige und zwischen die Leute sehe. Ein Gesicht schmilzt farblos in das nächste, konturenlos. Tränen vernebeln meine Sicht, als ich mich neben Vera setze. Danny steht am Pult. Wir sehen uns durch die Leute an.
Ich schließe die Augen und höre zu.
Danny sagt
Wir konnten uns nie ganz ausgleichen. Wir standen immer auf unterschiedlichen Stufen, aber hat uns das je zu Gegnern gemacht? Nein. Wir waren Freunde deswegen. Wir konnten die Welt aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Ich starre in meine Hände und bilde mir ein, den Abdruck der Waffe zu sehen, die ich dabei gehabt habe. Ich hätte sie benutzen können, als ich ihn im hohen Gras hab verschwinden sehen. Ich hätte sie benutzen können, bevor er Oliver die Kugel in die Brust gejagt hat. Ich hätte sie benutzen können, bevor Oliver und James aufgetaucht sind. Aber ich hätte sie nie benutzen können.
Das hätte nie passieren dürfen.
Danny sagt Es wird immer schwerer, bevor es leichter wird.
Danach steht der Pastor vorn. Wir beten wieder dafür, dass er an einem guten Ort ist. An einem besseren. Es fällt mir schwer, das zu glauben, aber ich bete mit ihnen, sage die Worte vor mich her, als ob sie mir ein Gefühl dafür geben könnten, dass ich Schuld an dem Tod eines meiner besten Freunde bin.
Aber danach bin ich immer noch dumpf: Ich seh die Leute ohne Farbe an mir vorbeigehen. Mein Herz schlägt Löcher in meine Brust, als ich den Kopf drehe und Vera weint.
Als Veronica sie in den Arm nimmt und mich ebenso untröstlich ansieht, fasse ich mir ins Gesicht und merke, dass ich es auch tue. Meine Hände sind nass und ich falle ein wie ein Kartenhaus.
Ich trete zur Seite und lasse Danny, Veronica und Vera raus, in meinem Kopf Bilder, was passiert wäre, hätte ich abgedrückt. Es wär nur eine Verletzung gewesen. Er wär nicht mehr da draußen.
»Nicht einknicken, Redford.« Danny klopft hart gegen meine Schulter. Ich ächze unter dem Wasser, das mir den Hals hochgestiegen ist und schneide eine Grimasse.
»'Knick nicht ein.«
»Gut so. Gehst du ein, bin ich auch nur zwei Sekunden davon entfernt«, sagt er. Ich will glucksen, aber's geht nicht. Hätt' ich die Scheiße nicht gemacht, gäb's keinen Grund zu trauern.
»Pass auf.«
»Richtig so. Verpass deinem alten Herren nicht noch einen Tränenkrampf, das steh ich nicht durch«, sagt er. Ich kann immer noch nicht glucksen, aber das verlangt er wenigstens nicht. Nur, dass ich mich endlich in Bewegung setze.
Ich reihe mich mit Danny mittig hinter Vera und Veronica in den Trauerzug bis zur Grabstelle ein. Das Loch ist schon ausgehoben und wartet darauf, dass man den Sarg hineinlegt und das Kapitel abschließt.
Ich dreh durch. Meine Nasenschleimhäute schwellen an, meine ganze Kehle ist zugeschnürt. Es ist immer noch da, das Gefühl der kalten Waffe in meiner Hand, dem Metall, das zunehmend die Wärme meiner Haut aufnimmt. Ich hätte es verhindern können und hab's nicht getan. Das hier ist das Endresultat: Er ist tot.
Und es ist meine Schuld.
Ich presse die Lippen aufeinander, um nicht zu schluchzen, spüre aber, wie die Tränen heiß über meine Wangen laufen.
Es wird Erde auf den Sarg geworfen, die ein klopfendes Geräusch hinterlässt. Es pocht laut meinem Ohr, als ich es ebenfalls tue, gelähmt von der Vorstellung, er liegt dadrin.
Meine Hand bebt, als ich sie wieder zu mir ziehe und den Blick abwende. Ich pack das nicht. Ich pack das einfach nicht und gehe deswegen alleine zurück zu meinem Wagen. Ich will in das Metall schmelzen, darin verschwinden. Stattdessen drücke ich mein Gesicht hinein, kralle mich in meine Hosentaschen und versuch, die Albtraumbilder aus dem Kopf zu kriegen. Die Albtraumgefühle. Das Gefühl, dass der Albtraum wahr ist, obwohl der meiner derzeitigen Realität entspricht.
Ich ertrinke förmlich in dem Wasser und Dreck klebt in meinem Gesicht, als ich mich wieder von dem Auto löse und die Tür aufschließe, das Gefühl von kaltem Metall unter meiner Hand. Die Beisetzung ist vorbei. Ich hab nichts für Hilary, was wieder gut machen kann, dass Oliver tot ist. Ich brauche wieder kaltes Metall in der Hand. Das Gefühl, das Richtige zu tun. Ein Ventil.
Ich brauche ein Ventil.
Also fahre ich los und nicht zu Hilary, sondern nach Lower Manhattan. Mein Handy klingelt zwischendurch. Ich weiß, dass es Danny ist, der mir sagen will, dass ich einer Trauerfeier beiwohnen muss, die es ohne mein Zutun nicht gegeben hätte. Er weiß es. Ich weiß es. Wir müssen aufhören, das zu leugnen. Unschuld gibt mir keinen Frieden: Den Kerl finden schon.
Die Frau unten beim Einstempeln kauft mir die Story ab, dass ich den Schlüssel für mein Büro vergessen hab und gibt mir den ganzen Bund mit Zweitschlüsseln.
Auf dem Flur begegne ich niemandem, den ich kenne. Trotzdem dröhnt es warnend hinter meiner Stirn, als ich in Dannys Büro schlüpfe. Ich brauche nur einen Hinweis, irgendwas Neues, das Danny weiß.
Die Krawatte drückt mir schmerzhaft die Luft ab. Ich löse sie mit bebenden Händen, steck sie ein, suche nach etwas Neuem.
Es zieht sich enger in meinem Kopf zusammen, als ich weiterlese. Meine Augen tränen immer noch und ich krieg's nicht zurückgedrängt, als ich Mord an Oliver Brookstone, 17. Oktober 2014 lese. Scheiße. Was für eine Scheiße.
Ich heule schon wieder, dass sich Wellen durch mich wiegen, biege mich darüber. Da steht immer noch die Bezeichnung Komplize und in Klammern sein richtiger Name, der noch nicht bestätigt ist. Da steht nirgendwo mein Name. Sie ziehen mich da sauber raus. Wie er's wollte. Man.
Ich bin nicht getröstet davon und blättere weiter, halte dann aber inne, weil's aus meiner Nase zu tropfen beginnt und ich die Papiere nicht einsauen will.
Nach ein paar Sekunden geht es wieder. Dann wende ich mich mit dumpf schlagendem Herz wieder an die Notizen.
Es gibt haufenweise Hinweise auf alte Verstecke, die infrage kommen. Die Geisel kannte ein paar. Derzeit vermuten sie ihn wieder in Harlem, in einer abgeranzten Nischengegend, wo hauptsächlich Plattenbau und Junkies zu finden sind.
Ich fotografiere mir die Übersicht ab und räum's wieder weg. Unten gebe ich die Schlüssel ab, vibriere von den Stromstößen, die durch mich jagen. Das Ventil. Ich denke immer noch an das Ventil.
Ich mach das Richtige. Ich will den Kerl in den Knast bringen, das war's.
Als ich im Auto sitze, vibriert mein Handy nochmal. Ich habe zwei verpasste Anrufe von Danny und Nachrichten von meinen Freunden.
Ich rufe alles ab und antworte nicht. Es sticht hart in meiner Rippengegend, ich schreib James nicht, wie abgefuckt und scheiße das hier ist, dabei könnt ich's. Will ihn nicht dran erinnern. Wahrscheinlich will ich nur, dass er, anders als ich, ein einziges Mal ohne Albträume aufwacht.
Es staut sich Richtung Harlem und mein Kopf läuft heiß. Meine Hände brennen. In mir bauen sich Vorstellungen auf, ich würde den Wagen stehen lassen und zu Fuß gehen, weil das schneller wäre. Jeder, der sich mir in den Weg stellt, wird sich wünschen, es nicht getan zu haben.
Aber ich rühr mich nicht vom Fleck und versuche, bei mir zu bleiben, bis sich alles wieder bewegt, bis der Verkehr wieder in Fahrt kommt. Ich hab das Gefühl, aus meiner Haut zu wachsen; Mich dreimal aus mir geschält zu haben, als ich bei der Adresse ankomme und meinen Wagen um die Ecke parke.
Es ist ein klarer, kalter Nachmittag im Oktober. Die Sonne steht am Himmel, aber hat keine Intentionen, Wärme zu spenden.
Ich steige aus, bebe immer noch bis in die Knochen, bin taub davon, wie es ist, taub zu sein. Um mich herum sind hoch gebaute, herunter gekommene Mehrfamilienhäuser, die mit Graffiti besprüht sind. Auf dem leeren Kinderspielplatz wiegt sich die Kette einer Schaukel ohne Sitz und in der Ferne höre ich Jugendliche herumgrölen. Bierflaschen sind an den Rand geschoben, Spritzen im Gebüsch.
Mein Herz pumpt hart, viel zu laut, als ich gehe um den Wagen herum gehe und die Glock aus dem Handschuhfach hole, die ich heute Morgen schon dort drapiert habe.
Ich weiß jetzt jedenfalls warum.
Danach setze ich mich langsam in Bewegung, verstecke die Waffe an meinem Gürtel und leg das Hemd drüber.
Kalter Schweiß steht mir im Nacken, als ich vor dem Mehrfamilienhaus stehe und die Tür aufdrücke, das Blut unter meiner Haut pulsiert kräftig. Vielleicht reden sie gerade in Hilarys Wohnung über Olivers Tod. Sagen, dass es nicht meine Schuld ist. Dass mein Therapeut recht hat und das Passiert nichts damit zu tun hatte, dass ich Spuren gefolgt bin. Aber es ist passiert. Ich hab es in Kauf genommen.
Langsam steige ich die Treppenstufen hoch, bis zur richtigen Tür, mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren. Es ist da: Meine Schuld. Meine Schuld.
Ich geh weiter hoch. Die Luft müsste dünner werden; Ich müsste zumindest Hemmungen haben, die nicht existieren. Als ich oben bin, sind meine Hände ruhig, auch wenn ich durchgeschwitzt bin. Mein Kopf redet so laut, dass alles andere leise wird.
Die vermeintliche Tür steht einen Spaltbreit offen. Das Schloss ist kaputt.
Ich versuche mir vorzustellen, dass es mir so leicht gemacht wird. Aber es fügt sich nicht, das Bild, nach allem, was passiert ist.
Ich geh trotzdem rein.
Mir kommen nach wenigen Schritten Stimmen entgegen, im erhitzten Dialog. Ich atme angestrengt aus, lehne mich in dem schmalen, leeren Flur gegen den Türrahmen, irgendwas presst mir die Luft ab, die getränkt von Zigarettenqualm und Bier ist. Dealerversteck.
Fuck.
Ich hol mein Handy raus. Eine Sekunde will ich's Danny sagen, dass er's hier verpasst, weil er zu beschäftigt damit ist, mich aus der Scheiße zu ziehen. Dass hier Wichser rumkrauchen und er das zulässt.
Aber ich lass es. Keine Zeit für sowas. Keine Zeit. Drogennest. Scheiße.
Ich ruf bei der Polizei durch und brauch drei Worte, dann verstehen sie mich und machen sich auf den Weg. Nochmal lass ich den Kerl nicht entkommen. Dieses Mal lasse ich sein ganzes Versteck auffliegen.
Mein Inneres röhrt unnatürlich laut, als ich das Handy wieder wegstecke. Ausatme. Bis zehn zähle, während von drinnen die Stimmen gedämpfter werden.
Ich sehe halb in den Raum.
Eine Sekunde erwarte ich, er wäre hier: Die schlohweißen Haaren würden sich schnell offenbaren. Ich wär am Ziel.
Aber nichts. Massig Spritzen liegen über dem Boden verteilt, ein Kerl sitzt da und hält eine Frau fest, die mehr tot als lebendig über seinem Arm hängt und Geräusche von sich gibt. Ihr Fuß zuckt. Der andere ist über sie gebeugt, sein Gesicht an ihrem Hals, und fingert sie. Sie reagiert nicht mal.
Es gibt keine Warnung: Ich platze durch.
Ich bin drin, die Kerle japsen eine Sekunde auf, dann hab ich den Typ am Arm gepackt und gegen die Wand gestoßen. Er knallt hinein wie ein ungebremstes Auto in einen Baum.
»Du Schwein«, presse ich hervor. In meinem Kopf zieht es sich zusammen, ich krieg irre Visionen davon, wie ich seine abgeranzte Fresse zu Matsch zerschlage, aber – Das Mädchen.
Sie starrt mich vollkommen apathisch an, liegt im Dreck, halb in Spritzen drinnen. Mir kommt Galle hoch. Fuck. Fuck.
Ich fasse nach ihrem Arm, doch komm nicht mehr zum Zugreifen, weil ich dann umgerissen werde, vorwärts mit dem Schädel in einen Schrank schlage, es donnert bis hoch in mein Hirn, ein metallischer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus, lässt den Schmerz nicht rein. Meine Hände brennen, als sie wieder auf mich losgehen. Ich schlag mir einfach die Seele aus dem Leib.
Den Ersten erwisch ich mit einem Hieb gegen die Rippen, aber der Zweite trifft dafür mich im Gesicht. Ich ächze, klappe kurz weg, als ich mir die Zunge durchbeiße.
Ich spucke einen Schwall Blut neben mich, sehe aus dem Augenwinkel noch einen der Beiden angerannt kommen. Irgendwie komm ich hoch. Irgendwie krieg ich seinen Arm runter und hämmere ihm meine geballte Faust auf den Wangenknochen, die Haut an meinen Handknöcheln rebelliert. Ich werd zur Seite gestoßen, aber der Kerl fällt um. Der andere reißt mich an den Haaren, will mein Gesicht in die Wand schlagen und eine Sekunde will ich nachgeben, als der Schmerz einsetzt, heiß, stechend.
Aber dann krieg ich die Hand noch zurück, dreh ihm den Arm rum und trete ihn weg, sehe das Mädchen noch daliegen. Sie starrt mit leeren Augen gegen die Decke.
Es fühlt sich an, als würde ich zu Staub zerfallen.
Ich muss rüber und sie auflesen, rausbringen, und lass den Kerl liegen. Allerdings komm ich keinen Meter weit, dann werd ich wieder zurückgerissen, auf die Rippen gedroschen, danach am Kopf, der zehn Mal zwölf in der Minute schlägt. Ich krieg mich gerade noch irgendwo festgeklammert, zwischen den schwarzen Punkten und schlag blind zu, als ich einen Schatten vor mir sehe. Die Haut reißt an meiner Hand auf, aber ich spür nichts mehr; Ich schlag nochmal zu. Nochmal. Er blutet. Ich auch.
Sein Kumpel schaltet sich ein, stößt mich weg. Als er mir diesmal die Faust in den Magen hämmert, bin ich wehrlos. Alle Luft entweicht meinen Lungen. Ich falle vorne über, einer latscht mir gegen das Bein, prügelt mich zur Seite.
Schwarze Punkte tauchen auf und ich spucke Blut, warte auf mehr, als ich komplett einklappe. Dunkles Blut suppt unter meiner Haut an meinen Handknöcheln hervor.
Statt noch einem Schlag, höre ich Gerangel. Als ich den Blick hebe, sehe ich NYPD Beamte mit den Typen rangeln. Ein Dritter kommt zu mir, ruckt mit dem Kinn in meine Richtung.
»Aufstehen.«
»'Hab angeruf'n«, bring ich irgendwie hervor, immer noch dicht vor dem Bewusstseinsverlust, aber zieh mich langsam hoch. Irgendwie krieg ich meine Brieftasche aus der Hose und hol die Marke raus. »Bin'n Agent voom FBI.«
Der Beamte nimmt mir die Marke ab und guckt sie kurz an, dann nickt er verstehend, klopft mir auf die Schulter.
»Na arbeiten ja wirklich mit komplettem Körpereinsatz.«
Ich sag ihm nicht, dass er mich mal kann, 's würd' ich nur bereuen. Keine Zeit, Mann. Dafür hab ich keine Zeit.
Also sag ich nichts dazu, sondern warte, bis der Schwindel nachlässt. Inzwischen ist ein Notarzt da, dabei ist alles, was ich brauche, ein richtiges Ventil. Ich hab Scheiße gebaut. Schon wieder.
Ich will irgendwas zertrümmern; Die Utensilien rausreißen und durch die Gegend schleudern, unter meinen Füßen zertreten, als ich auf der einen Trage sitze und eine Krankenschwester mir das Blut langsam vom Gesicht wischt. Ich hab's versaut. Wieder nicht gepackt.
Ich krieg keine Luft mehr rein und kann nicht unterscheiden, ob das vom Blut in meinem Hals oder meiner Enttäuschung ist, weil ich erneut versagt habe. Die Typen sind nicht mein Ziel gewesen, aber hier sitz ich und bin genauso weit wie zuvor.
Wir fahren ins Krankenhaus. Sie diagnostizieren nichts, was mich überrascht: Kaputte Lippe, durchgebissene Zunge, diverse blaue Flecken. Leichte Gehirnerschütterung. Ich muss abgeholt werden und bin gedemütigt und leer.
Mein Körper wiegt Tonnen, als ich auf dem Gang sitze und warte. Erschöpft lehne ich mich gegen die Wand, mach die Augen zu. Dank der Schmerztablette fühlt es sich nicht ganz so sehr an, als würde mir gleich der Kopf platzen. Damit hab ich jedoch keine Ablenkung mehr: Ich hab den Kerl immer noch nicht. Er's immer noch da draußen. Ich hab's immer noch nicht geschafft.
Ich kann kaum schlucken, dabei staut sich das Wasser in meinen Augen. Einmal heulen, das wär's jetzt. Nochmal krieg ich nicht so 'ne Chance.
»Fuck, siehst du scheiße aus«, ertönt eine Stimme rechts von mir. Ich gluckse erstickt und mach ein Augenlid auf, wo ich James in Motorradkluft sehe, sein dunkles Haar klebt an seinem Kopf. Er sieht müde und fertig aus.
»Danke. Hab mich noch nicht getraut in Spiegel zu schauen.«
»Solltest du auch nicht tun. Hätt' mir nicht die heiße Krankenschwester den Gang runter beteuert, dass der lädierte Kerl hier Christian Redford is', wär ich an dir vorbei gerannt«, spottet er und's wär witzig, wär nicht der Rest so abgefuckt.
»War 'ne harte Nacht.« Ich dreh ihm richtig den Kopf zu, seh ihn an. Mein bester Freund guckt ausdruckslos zurück.
»Muss 'ne verdammt harte Nacht gewesen sein. Beweg deinen Hintern hoch, Redford.«
»Mein Wagen ist noch in Harlem.«
»Interessiert mich dein scheiß Wagen? Nein. Und jetzt mach«, weist er mich an und verpasst mir einen Tritt, der sitzt und für den er sich nicht entschuldigt.
Widerwillig stehe ich auf und steck das Handy wieder ein. Wir laufen langsam die Station runter, während er redet.
»In was hast du dich reingebracht? Solltest du nich' eigentlich bei 'ner stinklangweiligen und traurigen Beerdigung sein?«
»Hatt' was anderes zu tun«, entgegne ich tonlos. Am Fahrstuhl bleiben wir stehen. Er verschränkt die Arme, mustert mich kurz.
»Und das war eins auf die Fresse kriegen?
»Exakt.«
»Du fuckst mich ab, Mann. Ernsthaft.« Wir schlüpfen in den Fahrstuhl und ich drücke den Knopf runter. Ich denk wieder an die Beerdigung. Die Beisetzung, das Trommeln der Erde auf dem Sarg. Mein Inneres wird kalt dabei. Ich muss was sagen.
»Ich dachte, ich find ihn.« Ich kriege keinen Ton in meine Stimme und drehe den Blick zu ihm. Wir sehen uns wieder an und er versteht schon. Unser Trauma. Man. Wir haben ihn beide sterben sehen. »Und's waren nur zwei Perverse.«
»'s nich' deine Schuld. Ernsthaft«, sagt er leise und wir kommen unten an, wo die Lifttüren wieder auseinander springen. »Und du hätt'st einfach dableiben sollen.«
»Und dann?« Wir ächzen beide synchron bei der Erinnerung. »Man … M-Man, er hat-«
»Fuck, ich weiß, was er gemacht hat, okay?«, schneidet James dazwischen, seine Stimme bebt. Wir sind endlich draußen, wo wir die Panik nicht mehr voreinander verbergen müssen. Seine Schultern zittern. »Ich hatt 'ne Waffe. Ok? Hab ich abgedrückt? Ne. Hätt ich's machen sollen?«
»Nein«, sage ich dazwischen, doch er schnaubt. »Du hast damit nichts zu tun.«
»Und deswegen ist's ok, wenn du dem Kerl wieder in die Arme rennst? Weil's ok gewesen wär', hättest du abgedrückt? Klar. Krepierst du auch, du naiver Vollpfosten.« Er schmeißt den Helm hinten auf die Klappe seines Motorrades. »Du hast auch 'ne Familie. Freunde. Man. Du hast mich, also tu nicht so, als ob's immer alles scheißegal wär', kapiert? Es war scheiße, was passiert is'. Aber's war … alles scheiße«, würgt er hervor und presst die Hand gegen die Augen, als es ihn wieder runterreißt. Mich auch. Ich bin grad ganz unten. Das Klopfen der Erde auf dem Sarg. Veras Weinen. Oliver, wie er in seinem Blut liegt und gegen die Decke starrt.
Meine Kehle ist zugeschnürt. Das Wasser steht zu hoch und ich will heulen.
»Er h-hatte was, o-ok? Das is' … Du hast sie nich' ge-ge-«
»Und deswegen ist's ok, wenn du dich als Nächster abschießen lässt? Christian. Mann. Sei doch kein Wichser«, presst er hervor, ächzt gequält, als ich mich gegen sein Motorrad lehne und mein Gesicht in meine Hände drücke, um zu atmen. Es kommen nur immer neue Scherben.
»'s h-hätt' a-and-ders s-sein s-soll'n«, bringe ich erstickt heraus. »W-Wollt-ts nur g-gut mach'n, maan, i-hich-«
»Is' ok, ich glaub's dir. Aber red dir einfach keinen Mist ein. Lass'es einfach.'s is' ...« Er atmet schwer und ich kann sein Gesicht nicht sehen, fass nach seinem Arm, wo er den Ärmel hochgeschoben hat. Die Narben vom Schneiden pochen da unter meinen Fingern. »'s ist's nich' wert. Mach's nie wieder. Man, du siehst so scheiße aus, wenn du heulst.«
»Fick dich, B-Baskin«, presse ich hervor, er kommt immer noch kaum zu Atem, aber dann steh ich auf und umarme ihn. Einfach so. Seine Wärme sickert in meine und er verkrampft sich, dabei sind wir ruhig. Es ist nur für den kurzen Moment. Weil er keinen hat, der ihm sagt, 's wäre okay, dabei ist es das. Es ist in Ordnung. Zumindest fühlt es sich zusammen so an.