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 Betreff des Beitrags: Kapitel 02
BeitragVerfasst: Do 20. Jul 2017, 14:05 
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Registriert: Di 30. Mai 2017, 07:06
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KAPITEL ZWEI


Ängstlich.
Das waren immer schon nur die anderen.
Diejenigen, die sich mit ihrem Schicksal noch nicht abgefunden hatten und dieser Schockstarre ihrer neuen Welt verfielen, die sie nie ganz abzuschütteln lernten.
Meistens die, die es nicht ganz so hart getroffen hatte, wie es mich tat; die armen Schweine, die noch der Hoffnung erlagen, dass es irgendwann schon besser würde, weil ihr Start ins Leben ein ruhiger, fast schon ein angenehmer, ein glücklicher war.
Denn die Welt könnte gar nicht so grausam sein, nicht wahr?
Nicht zu Kindern.
Aber mich fand man in einer Mülltonne.
Ich wusste es besser; wusste dass es besser war, sich lieber eine blutige Nase bei unzähligen Versuchen und Anläufen zu holen, wie das man unversehrt in den eigenen Schatten kauerte und wartete, während die Ereignisse das Leben klar diktierten und verstreichen ließen.
Du kannst nur gewinnen war mein Mantra, es war meine Seelsorge, ein gewisperter Faden der Unterstützung und Stärke und lange der einzige Halt, den ich hatte, weil ich nicht mehr brauchte, um meinen Weg zu gehen.
Denn dieser war immer ein guter.
Ein optimistischer.
Darin erwählt und betont.
Das war wichtig.
Dass Einstellung alles ist, keine leere Phrase.
Nicht für Menschen wie mich.
Schlimmer, als ein paar Tage alt in einer Mülltonne gefunden zu werden, konnte es ohnehin nicht mehr kommen.
Aber ich lernte, was es hieß, Angst zu haben, an dem Tag, an dem du mich auf den Treppen vor der Schule stehen ließest und sie warf mich ebenso gelähmt zurück, wie ich es über all die Jahre immer bei anderen beobachtet, aber nie am eigenen Leib erspürt hatte.
Es lag nicht daran, dass ich vor dir nie Freunde hatte, denn das hatte ich, in bunter, immer diverser Ausartung, weil es mir wichtig war, mich in dieser Vielfältigkeit fallen zu lassen.
Ich bin ein geselliger Typ.
Ich bin offen.
Unkompliziert.
Mag Menschen, ihre Geschichten und brauche ihre ansteckende Gesellschaft, die das Alleinsein vertreibt.
Auch heute noch, Jahrzehnte später, hat sich daran nichts geändert.
Aber du warst meine Ausnahme, Sam.
Nicht nur, weil ich in dich verliebt war, als gäbe es kein Morgen mehr.
Sondern weil wir auf dieser Eben klickten, die mich mit niemanden sonst je verband; die Ebene der kommunikativen Blicke, des stummen Verständnisses und der Verbundenheit, die sich anfühlte wie Schicksal, Liebe und Seelenverwandtschaft zugleich, ganz so, als hätte sich die Welt gedreht und gedreht und gedreht, um uns einander näher zu bringen und in das Leben des anderen unveränderbar einzuflechten.
Ich glaube daran.
Heute noch.
Und als du mit dieser wütenden Trauer die Treppe runtergestapft bist, weg von mir, konnte ich nichts tun.
Du bist gerne geflüchtet.
Und du hast die Flucht immer gebraucht, denke ich, denn du hast Konfrontation ebenso wenig gelernt, wie ich.
Als es schwierig wurde, wurden wir von unseren Müttern verlassen.
Und auch, wenn wir ein Leben lang darunter litten und uns damit auseinandersetzten und darüberzuheben versuchten, versuchten darüber zu leben, hat es doch dieses Wissen in unserer verletzlichen Essenz unseres Charakters verankert, dass es auch immer, ganz gleich, wie schmerzhaft, eine Lösung ist.
Eine Lösung, die nichts klärt.
Aber eine Lösung, die beendet.
Uns.
Das einzige, was blieb, war das Vertrauen darauf, dass du wieder kamst und das darin nicht nur die Freiheit, sondern der wahre Gewinn unserer Freundschaft liegen würde, denn nur, wer gehen lassen kann; nur wer respektierte und Grenzen als solche ansieht, hat ein wahres Anrecht auf das, was sich so einfach Freundschaft vermutet, aber intensiver nie sein könnte.
Trotzdem musste ich gehen.
Die Polizei war längst alarmiert und hätten sie mich gefunden, wäre für mich die nächste Station die Verbesserungsanstalt gewesen. Und das war zu nahe an dieser verdammten Mülltonne dran, als dass ich es je riskiert hätte.
Aber als ich ging, tat ich das nicht gerne.
Ich habe vermutlich erst in der Nacht gemerkt, als wir gemeinsam am Strand saßen und sich Wellen im rhythmischen Schlag unserer Herzen an unsere Füße schmiegten, wie zerbrechlich du wirklich bist.
Und als ich ging, wollte ich dich deshalb mitnehmen.
Nach Lytham.
Zu Blake.
Zu mir.
Ich weiß, dass ohne mich die Einsamkeit wieder kam.
Wir haben nie darüber geredet, aber das mussten wir nicht, wie du und ich so selten konkret über derlei Dinge reden mussten, weil das Wissen darum längst tief in uns vibrierte, sobald unsere Blicke sich trafen.
Ich weiß, dass die Klassenzimmer sich ohne mich leer anfühlten und dass der Traum einer Schulband, der Traum zu singen und dich von deinem eigenen Stigmata zu befreien, wieder unerreichbar würde, denn du warst loyal und die Band ohne mich für dich nie auch nur eine Überlegung wert.
Deine Stimme und meine Gitarre, das war etwas, das gehörte zusammen, sagtest du.
Und daran hieltest du fest.
Mit diesem trotzigen Charme; diesem harten Gesicht und den Lippen in einem unerbittlichen Schwung, der jede Diskussion tilgte, weil jedweder Entschluss längst gefällt ist und du Diskussionen nicht duldest, im Keim sofort niedergekämpft hast.
Wenn ich dir gesagt hätte, dass ich es nicht bin, dein musikalisches Gegenstück; die Gitarre, die in dem Anschlag der Saiten sich wissend mit deiner Stimme vermengte und dich nicht nur sah, sondern fand,… komplettierte, nicht einfach nur ergänzte, hättest du es verweigert.
Trotzdem kannte ich sie.
Schon so lange.
Fühlte sie so oft in mir, weil sie einst meine eigenen Gedanken entfesselte und eine Leidenschaft säte, die ich in diesen Jahren mit ähnlichem Geschick zu ernten versuchte.
Und ich wusste,….
… du und dieses Gitarrenspiel, dahinter läge Magie.
Ich wusste es immer.
Deswegen ist die Frage unausweichlich.
Deswegen stelle ich sie mir oft.
Auch jetzt noch.
Ob es meine Schuld ist.
Ob ich den Anfang dieses Endes losgetreten habe.


*

Noch ehe das erste Klingeln richtig durch die Holzdielen hallen konnte, schlitterte Sam bereits um die Ecke und stolperte auf leisen Socken an den Telefonhörer und als sie sich mit einem atemlosen „Readon am Apparat, was kann ich für Sie tun“ meldete, wäre ihr fast das Herz stehengeblieben. Scheiße. Das war aber auch einfach eine kritische Uhrzeit.
„Sam?“
Sam reckte sich auf ihren Wollsocken und versuchte, den ergrauten Schopf ihrer Großmutter im Inneren des Wohnzimmers auszumachen; jenen Bereich, den sie akribisch vor jeden Gästen und anderweitigen Besuchern abschirmte, weil er das einzige Bisschen Privatssphäre war, das sie als Familie abseits ihrer Schlafzimmer hatten. Aber sie sah die Frau nicht und als das Braun ihrer Augen weiter huschte und Sam sich ein bisschen weiter zu den zwei in das Wohnzimmer hineinreichende Stufen vorwagte, sah sie, dass die Terrassentüre angelehnt war. Erleichterung perlte durch ihr Bewusstsein und ließ Sam tief ausatmen und die Stimme am anderen Ende des Apparats schien ebenso erleichtert.
„Ist sie weg?“
„Bei den Tomaten, könnte ich wetten.“
„Das bedeutet?“
„Das bedeutet, dass wir bestimmt sicher zehn Minuten haben und dass wir uns das nächste Mal besser absprechen müssen. Du kannst doch nicht einfach-„
„Sam, entspann dich.“
Sam lehnte sich gegen das alte Holz der Dielenvertäfelung und musste lächeln, als sie seinen Tadel hörte und tatsächlich lichtete sich die Anspannung auf ihren Schultern ein wenig und sie strich sich in bedachter Geste eine Haarsträhne hinter das Ohr.
„Ich meine, was soll sie dir schon tun, du telefonierst. Zur Not lügst du einfach.“
Sie wusste, dass er Recht hatte, es war nur so, dass sie schon so lange, so sehnsüchtig auf diesen Anruf wartete, dass sie diesen Moment bewahren und auskosten wollte und der Gedanke daran, dass ihre Großmutter ihr das wegen schlechtem Timing nicht nur vermiesen, sondern tatsächlich nehmen könnte… Sam schloss die Augen und mahnte sich zu einem weiteren Durchatmen und entschied sich, Beatrice Readon aus ihrem Kopf zu sperren, zumindest für die nächsten zehn Minuten. Und als das geschehen war, war da am anderen Ende des Hörers mehr, als nur Levis abwartende Atmung; Sam sensibilisierte sich auf einmal für die Hintergrundgeräusche, für dichtes Stimmengewirr, dass durch Frauenlachen glockenhell zerrissen wurde und auch Levi ein Auflachen und ein „Nein danke, hab noch ‚ne volle Flasche“ entlockte. Für die Musik im Hintergrund, die ihr augenblicklich Erinnerungen des Schuldachs vor das innere Auge zog.
Momente, die es ohne ihn nicht mehr gab.
„Wie… wie geht es dir?“, versuchte Sam holprig anzuknüpfen und stellte ein Fuß an der Wand ab um eine bequemere Pose einnehmen zu können. „Das klingt ja ganz schön…“, sie fischte nach dem richtigen Wort, „lebhaft bei dir.“ Sam lachte leise, aber angespannt, weil… verdammt, lebhaft, seit wann redete sie so? „Wo bist du gerade?“, versuchte sie eine sorglose Brücke zu ihm zu schlagen, aber zu ihrem Glück sprang Levi auf ihre dargebotene Unsicherheit nicht an. Stattdessen lachte er.
„Zuhause. Also – bei Blake. Sam, die Bude ist der absolute Wahnsinn, dir würde es hier sehr gut gefallen, da bin ich mir sicher. Nicht ganz so ordentlich wie bei deiner Grandma“, wieder lachte er, „aber tausend Mal so gemütlich. Im Nachhinein bereue ich es, nicht einfach schon früher gegangen zu sein. Hier fügt sich alles, verstehst du? Es ist so einfach und so unkompliziert. Ich warte und suche seit Wochen einen Haken und heute habe ich mich dazu entschlossen, aufzuhören, einen zu suchen. Ich meine, das macht doch gar keinen Sinn, oder?“
Sam schlang einen Arm um ihren Körper, während sie den Kopf weiterhin zur Terrassentüre gerichtet hielt und gab sich Mühe, dass Lächeln in ihren Mundwinkeln festzuhalten, weil sie wusste, dass er es hören würde, würde sie es fallen lassen. Sam wollte nicht, dass er mitbekam, wie Enttäuschung sich in ihr festkettete, als er bereute, nicht früher gegangen zu sein, während er so losgelöst und entspannt klang, wie sie gehofft hatte, dass er klingen würde und sie wusste, dass es unfair war, aber ging es um Levi konnte sie sich von einem gewissen Egoismus einfach nicht befreien. Nie. Trotzdem nickte sie, bei seinen Worten und bemühte sich, sich in dieser Spur zu halten, denn es wäre einfacher, in all ihre einsamen Einzelteile zu zerfallen, wenn sie alleine auf ihre Matratze fiel und stoisch auf die dunkle Holzdecke ihres Schlafzimmers starren konnte.
„Ist Blake so, wie du ihn in Erinnerung hast?“
„Hm, nein. Ich meine Blake ist Blake, wenn du ihn erstmal kennenlernst, weißt du, was ich damit meine, also ist er immer noch, irgendwie… er. So, wie ich ihn kennengelernt habe. Aber er ist halt nicht mehr dieser wütende, ständig pöbelnde Präpubertierende, was schonmal – Hey, warum schlägst du mich! Ich sage nur die Wahrheit“, das Gespräch riss kurz knisternd ab, dann meldete sich Levi zurück, wieder lachend… so ausgelassen lachend… „Ich soll dir nicht so viel Mist erzählen. Aber er ist gefestigter. Selbstbewusst und weiß, wo er hinwill“, hörte Sam sein Grinsen, das auf das tiefe Inhalieren folgte, dass sie einer weiteren Zigarette zuschrieb.
Sam hätte jetzt auch gerne eine.
„Wie geht es dir? Was macht die Schule?“
„Steht noch“, antwortete Sam etwas widerwillig. „Alles beim Alten und absolut unspannend.“
„Lassen sie dich wenigstens in Ruhe?“
„Ich komm schon klar.“
„Sam“, Levis Stimme wurde augenblicklich ernster.
„Alles gut“, log sie dann und richtete sich ein wenig an der Wand auf, als könnte sie sich damit die Aufrichtigkeit vermachen, die sie hierfür vorspielte. „Es geht auf das Ende zu und jeder hat mit sich und seinen Noten zu tun. Es gibt extrem viel zu tun und zu lernen. Seitdem weht der Wind etwas anders.“ Und ganz gelogen war das immerhin nicht. Sam entschied, dass das alles war, worauf es wirklich ankam.
„Ich denke jeden Tag an dich, weißt du das?“, begann Levi nun und seine Stimme klang verändert. Da war dieses Kribbeln in Sams Magen; dieses Kribbeln, das immer kam, wenn er mit ihr so sprach, weil es ihr das Gefühl gab, die einzige Person auf der Welt zu sein, die ihm irgendetwas bedeutete. Manchmal brauchte ihre Seele das mehr, als sie zugab und manches Mal führte das ihre Gefühle mehr auf das Glatteis, als sie wirklich wollte. Doch jetzt, über Kilometer entfernt, am Telefon, in den ruhigen Schatten des Hauses, erlaubte sie sich ein Spielen mit ihrer Haarsträhne und Erleichterung.
„Lytham… pulsiert. Es pulsiert. Anders kann ich es gar nicht ausdrücken. Die Musikszene hier ist der Wahnsinn. Blake hat mir schon lange davon berichtet, aber dass es hier tatsächlich so rundgeht, hätte ich nicht gedacht. Lytham ist auf seine Art auch konservativ, aber nicht so erzkonservativ wie Blackpool. Man wird nicht ausgebremst und die Leute suchen sich hier ihre Wege, organisieren sich, finden zusammen und was dabei auf die Beine gestellt wird, ist nicht zu fassen“, fuhr er aufgeregt fort. „Das hier ist nicht nur eine andere Welt, sondern eine andere Generation, Sam und…“, Levi brach abrupt ab und suchte nach Worten, „hier gibt es verrückt talentierte Leute. Das ist mein Ernst. Viele Musiker, viele, die das aus Spaß und vielleicht auch aus dem Zeitgeist hier heraus praktizieren, aber es gibt da diese und jenen… da bin ich davon überzeugt, dass da mehr ginge. So viel mehr.“
Es fiel Sam nicht schwer, sich das vorzustellen; das Panorama, das sich vor ihren Augen auftat und angeleitet wurde von den Rockklängen in Levis Hintergrund und den Leuten, dieser offensichtlichen Party, auf der er sich befand, fügte sich deutlich und es sinnierte sich so grandios zusammen, wie es klang. Es berührte sie auf eine Ebene, die selbst für jemanden wie Sam, die sich sonst als kühl betrachtete, essentiell und wichtig war, weil der Antrieb dahinter so wichtig war.
„Kannst du mal aufhören mich neidisch zu machen?“, murmelte sie und seufzte leise, „Wenn das so weiter geht, steht eine Band, bevor ich fertig bin und in ein paar Jahren kann ich euch aus der Zuschauermenge auf die Bühne zuwinken und hoffen, dass ich von einem Heirate mich, Levi Delaney-Schild nicht erschlagen werde.“
„Willst du mich verarschen?“, Levi lachte auf. „Ich scoute für uns, nicht für mich. Ich habe dir was versprochen, schon vergessen?“
Sam lächelte selbstgefälliger, als sie sollte. „Das hast du allerdings“, schnalzte sie dann mit der Zunge. „Ich dachte nur, ich erinnere dich daran.“
Schweigen entfaltete sich am anderen Ende der Leitung; Schweigen, das warm und wohlbekannt zu ihr hinüberschwappte und sie mit einer Welle der Nostalgie erreichte, die Sam fast erschreckte. Aber so war das mit Levi, und auch, wenn es nicht lange her war, seitdem er gegangen war, war es seitdem anders genug, um sie trotzdem sehnsüchtig heimzusuchen.
„Wir erobern Lytham, Sam. Ich verspreche es dir jetzt, so wie ich dir am Strand versprochen habe, das Ding mit dir durchzuziehen. Nur mit dir. Lytham ist bereit für deine Stimme, weißt du. Und Lytham braucht deine Stimme. Lytham weiß es nur noch nicht. Wir können hier alles sein. Wir müssen es uns nur holen. Das ist alles.“
„Das klingt aus deinem Mund immer so einfach. So einfach ist es nie.“
„… das stimmt.“
„… aber einfach kann jeder.“
„Genau die Einstellung meine ich.“
Sam lehnte sich erneut nach vorne, um zu sehen, ob von ihrer Großmutter bereits ein Anzeichen zu sehen war, doch sie sah, wie deren schlanke Silhouette bei den Kräuterbeeten umherhuschte und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck in den hochgewachsenen Büscheln rupfte. Sam tippte auf Unkraut oder von Ungeziefer zerfressenes Blattwerk.
„Ich habe einen Drummer kennengelernt. Also – einer von vielen, aber Bradley passt zu uns, finde ich. Von der Einstellung, von der ganzen Art her und er ist mit dem entsprechendem Ernst und massiv viel Können dabei. Er ist etwas älter, etwas älter als Blake sogar, so Mitte zwanzig, aber mit ihm hat es geklickt und –„, Levi wurde unterbrochen und es war eine Frauenstimme, die Sam auf einmal ergänzend in Ohr sprach, „er kann es gar nicht erwarten, dich kennenzulernen! Ich übrigens auch nicht!“ Sam zuckte zusammen und riss den Hörer von ihrem Ohr, weil die plötzliche Lautstärke unangenehm in ihrer Ohrmuschel schrillte; die anderen Worte verstand sie deshalb nicht, Levi redete schnell und lachte und die Frauenstimme auch und anhand dessen, wie er reagierte, wie sie die Tonlage seiner Stimme las…Als Sam den Hörer wieder an ihr Ohr führte, war da ein süffisantes Grinsen auf ihren Lippen, ungeniert breit.
„Wer war das?“ Sam gab sich nicht mal die Mühe, ihre Stimme sorglos klingen zu lassen. Sie klang selbstzufrieden und sie neckte und Levi sprang darauf an, indem er kurz… brummte. Brummte. Levi brummte nie. Es sei denn…Dann lachte er auf. Und für Sam war alles klar.
„Ich weiß nicht, wie sie heißt, aber-„
„Aber der Abend ist noch jung und du solltest daran dringend was ändern.“
„… ach, ich weiß auch nicht.“
„Das war kein Vorschlag“, tadelte sie gespielt streng. „Betrachte es als… Befehl.“
„Befehl?“, Levi lachte erneut und unterbrach sich mit etwas, das wie einem Schluck aus der Flasche klang. „Na gut. Logan beobachtet sie ohnehin schon so, da sollte ich wohl vielleicht mal ein bisschen Initiative zeigen.“
Sam lächelte und merkte, wie das Gespräch langsam verebbte und das machte nichts, zwischen Levi und ihr gab es viele Momente des angenehmen Schweigens und dass sich hier wieder einer zwischen sie zu betten versuchte, zeugte nur davon, dass sich dahingehend nichts geändert hatte und das war mehr, als sie sich im Moment je wünschen könnte.
„Danke für deinen Anruf. Es bedeutet mir wirklich viel. Dass du mich nicht vergisst, weißt du“, flüsterte sie dann, weil Sam keinen Mut dafür hatte, nie, soetwas laut und mit voller Inbrunst zu sagen. Aber sie meinte es so.
„Dumpfbacke“, verurteilte er sie, aber er sprach sanft. „Immer. Das weißt du doch.“
Die Tatsache war, dass Sam das nicht wusste; nicht, bis es sich bestätigte, immer und immer wieder und sie darin nicht nur Routine, sondern auch Sicherheit fand. Sie dachte darüber nach, nach dem Abendessen, nachdem sie sich von ihrer müden Grandma verabschiedete und sie mit irgendeiner Show im TV alleine ließ, die sie in den Schlaf reißen würde, so, wie es fast jeden Abend geschah. Sam entschied sich, die Ausflucht durch ihr Dachfenster zu suchen und sich auf die wackeligen Dachziegel zu setzen, die nach Norden und Weg vom Strand und weg vom Meer zeigten, dass sie in seiner Omnipräsenz in der Stille des Abends dennoch als leises Rauschen erreichte, dass ihren Puls wie immer wohlig beruhigte. Sam griff nach ihrer Teetasse und zog diese in ihren Schoß und ließ sich die letzte Wärme der Keramik gefallen, ehe sie ihren Blick anhob, und ihre Augen über die Dächer Blackpools wandern ließ.
Es ging ihr nicht gut, hätte sie gerne gesagt. Dass es in der Schule nicht besser war, sondern schlimmer, seitdem er weg war und dass sie es an manchen Tagen so müde geworden war, dagegen anzukämpfen, weil sie immer dagegen ankämpfen musste und nicht immer die Kraft dafür hatte. Aber Jammern hätte ihr nichts gebracht. Jammern würde es nicht schneller vorbeiziehen lassen. Deshalb gab es für sie nur die Möglichkeit, sich zusammenzureißen. Zu konzentrieren. Und darauf zu vertrauen, dass sie nicht bersten würde.
Der Frühling lag immerhin in der Luft und bald würde es Sommer werden, der sich in seiner Hitze mitsamt den Touristen über die Strände Blackpools ergießen würde. Und dann wäre Sam frei und könnte sich in das Lythammärchen schreiben, wollte sie es nur.
Sie lächelte über den Rand ihrer Teetasse und nahm einen langen, gedankenversunkenen Schluck, während die Welt von dem Zwielicht in die Dunkelheit glitt.
Sam erinnerte sich nicht daran, wann sie zuletzt derart zuversichtlich gewesen war. Aber sie war es und deshalb memorierte sie sich diesen Augenblick in ihr Gedächtnis, um sich die kommenden Wochen daran festzuhalten, als das glühende Rot des Tages hinter der Kirchenspitze starb.


*



Die alte Küstenstraße erweckte Erinnerungen in der jungen Frau, die sie am liebsten begraben und auf ewig von ihren Erinnerungen getilgt hätte. Gäbe es eine Möglichkeit, hätte sie das bereits vor Jahren getan; dann, als der Schmerz noch in ihrem Herzmuskel pulsierte und ihre Existenz derart diktierte, dass sie die Worte geglaubt hatte, die man über sie wisperte.
Unrein. Hurentochter. Ungewollt. Ein Problem.
Sie hatte versucht ihre Mutter als die Antagonistin zu zeichnen, als die sie jeder verdammte, und Sam wusste, dass es besser so war, täte sie das mit jener eisernen Konsequenz, die ihr Herz vor weiteren Verletzungen abschirmen würde. Aber als der Bus an diesem verregneten Nachmittag die alte Küstenstraße entlangrollte und versuchte, langsam die Schlaglöcher auszubalancieren, erinnerte Sam sich zu deutlich an den Geruch ihrer dunkelbraunen Locken und daran, wie sehr sie nach Zuhause dufteten; nach Geborgenheit und Liebe. Sie vergaß langsam, wie sie ausgesehen hatte, die Mutter, mit der sie ihre ersten acht Lebensjahre verbracht hatte, denn mit der Zeit waren die deutlichen Konturen zu nichts weiter als einer schattenhaften Silhouette verkommen. Aber in ihrem Gedächtnis roch sie immer noch nach frischer Seife und einem dezenten, beschwingendem Parfüm und wenn die Lippen, die so befreit und herzlich lächeln konnten, rot geschminkt waren, war sie nicht nur schön, sondern für Sam die Allerschönste gewesen. Sam weigerte sich anzuerkennen, dass ihre Mutter all das war, was man über sie sagte; dass Sam ungewollt oder ungeliebt war, eine Lüge, denn die Erinnerungen ihrer frühesten Kindheit waren vollbepackt damit, bis obenhin, mit Liebe, Zärtlichkeiten und so viel Gelächter, dass ihr der Bauch wehtat.
Als Sams Blick sich in der vorbeiziehenden Landschaft verlor, erinnerte sie sich an die stickige und muffige Luft des Taxis; daran, dass ein alter Hit aus den 50er Jahren blechern im Radio leierte, während es mit Empfangsproblemen kämpfte. Der Taxifahrer schwieg ebenso, wie es ihre Mutter getan hatte. Und Sam hatte sich in dem Schweigen nichts gedacht; sorglos die Nase in dem Haar ihrer Mutter vergraben und versucht, mit den kindlichen Augen die umhertanzenden Schneeflocken zu erfassen, die seit dem Mittag an der Küste in einem wilden Sturm tobten. Nur deshalb kamen sie so langsam voran, nur deshalb krochen sie an der Küste entlang und schlängelten sich ihren Weg nach Blackpool, wo sie sich auf immer trennen würden.
Sam hatte vergessen, wo sie vorher gelebt hatte. Sie wusste nur, dass sie es nie verstehen würde, ganz gleich, wie die Gründe ausgesehen hatten. Wieso man sie zurückgelassen hatte; wie man es schaffte, sich nach acht gemeinsamen Jahren aus dem Leben des anderen zu tilgen, ohne je wieder zurückzublicken. Aber ihre Mutter hatte nicht gelächelt, in dieser hereinbrechenden Nacht. Und das war der einzige Trost, der Sam blieb.
Als Sam in Lytham St. Anne angekommen ihren Rucksack schulterte und auf den Asphalt des Busbahnhofes trat, wurden ihre schwermütigen Gedanken hinfortgefegt. Arme rissen sie ruckartig in eine feste Umarmung und noch ehe Sam irgendwelche begrüßende Worte herausbekam, wurde sie wild drehend durch die Luft geschleudert. Sie konnte nicht anders als zu lachen und die Arme fester um den Nacken zu schlingen.
„Endlich!“, stieß Levi aus, als er sie absetzte, aber auch er dachte nicht daran, sie loszulassen. Fest drückte er ihren Körper an sich und Sam ließ es sich gefallen; vergrub ihr Gesicht an seiner Halsbeuge und ließ sich von seiner Präsenz überrollen, als sie sich umarmten. Denn das hier… das war das einzige Zuhause, dass sie jetzt noch in ihrem Herzen hatte.
„Ich habe dich so vermisst“, murmelte sie und als er sie noch ein bisschen fester drückte, sie auf die Wange küsste und ein wenig hin und her wog, seufzte Sam wohlig auf, denn er war so warm und ging es nach ihr, könnte sie hier stundenlang mit ihm stehen.
„Ich habe ja schon fast nicht mehr dran geglaubt“, gestand Levi und als sie sich lösten, grinste er sie etwas tollpatschig an. Wie immer, wenn er nicht so recht wusste, was er mit sich anfangen sollte und kratzte sich am Hinterkopf, eher eine Hand den fließenden Übergang in die Hosentasche fand.
„Frag mich mal“, Sam zog eine Grimasse und ordnete die Strähnen ihrer Haare, die sich aus dem behelfsmäßigen Zopf gelöst hatten, grinste dann aber. „Zwei Worte: Georgina Reed.“
„Nein.“
„Oh doch“, frohlockte Sam. „Sie war mir nach der letzten Englischklausur einen Gefallen schuldig, also gab es ein ausführliches, einstudiertes Telefonat über diese biologische Exkursion nach Lytham St. Anne und dass ich ja bestimmt nicht mitdürfte, weil im Bed’n’Breakfast so viel zu tun sein und dass ich dann dringend auf ihre Mitschriften angewiesen sei, sonst würde ich dann bei der Abschlussprüfung echt alt aussehen…“
„Wow“, Levi pfiff anerkennend durch die Lippen, „Da hast du dir einen mächtigen Verbündeten an Land gezogen. Ich meine… Georgina?“, sein Gesicht war immer noch diese Maske des puren Unglaubens, weswegen Sam jetzt auflachen musste, „Und deine Grandma hat dich dann einfach so ziehen lassen, ja?“
„Jain. Sie war aber etwas verärgert darüber, warum ich ihr nicht gleich gesagt hätte, wie dringlich das wäre. Du weißt ja, sie will, dass ich die Ausbildung als Krankenschwester im örtlichen Krankenhaus beginne und da ist die Bionote der Maßstab. Damit habe ich sie dann bekommen. Bedingung ist aber, dass ich mich regelmäßig melde. Zur Abendessenszeit. Und berichte.“
„Du kannst also das ganze Wochenende bleiben?“
„Bis Sonntagabend, ja. Ich habe gesagt, dass wir wahrscheinlich den letzten Bus nehmen und dann Montag erst zur dritten Stunde in den Schulalltag schlittern. Was auch gar nicht gelogen ist.“
Levi grinste und als er das tat, fuhr er sich abermals durch das Haar, dieses Mal aber mit einer erleichterten Geste, das sah Sam. Er sah gut aus; aus den dunkelbraunen Stoppeln waren längere Haare geworden, die ihm dann und wann in die Stirn fielen und seine Lässigkeit unterstrichen. Er trug die Haare seitlich gescheitelt und er hatte ein neues Piercing sah sie. Seitlich. An der Unterlippe. Und er hatte sich tätowieren lassen. Zugenommen hatte er auch.
Ihm ging es merklich gut hier, sah Sam und obwohl sie am Telefon bereits die Veränderung vernommen und vermutet hatte, war es etwas anderes zu sehen, wie gut es ihm tatsächlich ging. Und das war gut so. Levi hatte es verdient.

*



Sam blieb fast die Luft weg, als sie durch den Eingangsbereich in die Dunkelheit hineintrat, die vor lauter Musik zu vibrieren schien.
„Na, habe ich dir zu viel versprochen?“, rief Levi gegen den Pegel an und tauchte mit einem Grinsen an ihrer Seite auf. Er hatte darauf spekuliert, wusste Sam; immerhin hatte er auf ihrem Hinweg durch die verwinkelten Gassen Lythams schon die eine oder andere Anmerkung fallen gelassen, die Sams Interesse in das unermessliche schürte. Doch Sam konnte ihm nicht antworten. Nicht sofort.
Von der Dunkelheit gebannt, gewöhnten sich ihre Iriden schnell an die Lichtumstände und ließen sie darin nicht nur Sitzgelegenheiten und Stehtische erkennen, sondern auch eine Bar, von der grelle Lichterketten aus den Weg zu der Bühne markierten, die das Zentrum des Hole darstellte. Die Bühnenbeleuchtung war grell und dramatisch und die Band, die darauf spielte, nutzte das in wilden, ekstatischen Zuckungen aus, während der Sänger sich durch eine anarchistische Hymne schrie, dass Sam beinahe das Hören vergangen wäre – auf eine gute Weise. Ein ungläubiger Ausdruck erklomm ihre Züge und zog ein zeitverzögertes Lächeln nach sich.
„Scheiße, Levi, das ist perfekt“, stieß sie aus und beobachtete die Menge, die sich ausgelassen und wild, mit wippenden Haarschöpfen und ausufernden Bewegungen von der Musik dirigieren ließ. Sam erkannte hochgegelte Frisuren, bunte Farben und neben kurzen Röcken auch ganz viel Jeans und Leder. Und Haut. Was kein Wunder war, wenn man bedachte, wie warm es hier war. Das Hole roch nach Schweiß, Zigarettenrauch, Alkohol und zu vielen Menschen, aber Sam hätte die Absteige in dem Moment mit nichts anderem auf der Welt eingetauscht. Sie merkte, wie es begann, in ihren Händen zu kribbeln. Wie die Euphorie begann, sich zu entfesseln, weil es all das war, was sie sich immer gewünscht hatte – und noch ein bisschen mehr. Ihr Kopf wirbelte zu Levi, der mittlerweile selbstzufrieden an einer Zigarette zog und ihr so einen wissenden Seitenblick entgegenwarf, dass sie ihm gegen die Schulter boxte.
„Und davon hast du mir noch nichts erzählt?“, sie fuchtelte in die Richtung der tanzenden Menschen, „In all der Zeit, in all unseren Telefonaten?“
Levi zuckte nichtmal mit der Wimper. „Nope“; grinste er nur. „Genau deswegen“, beugte er sich vor und stupste sie spielerisch gegen die Nase. Sam zog ihren Kopf zurück, lachte dann aber.
„Wie grandios ist das hier bitte?“ Sie wusste gar nicht, wohin sie zuerst zeigen sollte.
„Dabei ist jetzt noch gar nicht viel los“, schmunzelte er und als Levi ihren überraschten Blick auffing und ein paar weiteren Gästen ausweichen musste, bedeutete er ihr mit einem Nicken, ihr zu folgen. „Komm mit. Ich will dir ein paar Leute vorstellen.“
Sam nickte nicht, aber sie folgte ihm bereitwillig.
Gewisse Namen hatte sie bereits verinnerlicht, weil er von ihnen des Öfteren gesprochen hatte, im direkten, wie im indirekten Bezug. Da gab es Logan und Bradley, wusste sie, aber auch Blake und Alexis spielten feste, integrierte Rollen in seinem Alltag; manches Mal auch ein Declan. Sie war neugierig, was es für Menschen waren, mit denen er seine neu erwählte Freiheit verbrachte, während die Polizei in Blackpool immer noch nach ihm suchte und sogar an der Schule ein paar Mitschüler zu seiner Person befragte.
Sam griff Levis dargebotene Hand und ließ von ihm durch Menschen und an Tischen vorbei lavieren; drängte sich mit ihm erfolgreich an einen runden Tisch, der zwar deutlich abgeschirmt von dem Hauptgeschehen lag, aber mit seiner Nähe zur Bühne die beste Lage versprach, ohne dass man sich anschreien musste.
„Wir kommen regelmäßig hier her“, informierte sie Levi auf den letzten Metern, „und können uns somit eigentlich immer recht gute Plätze ergattern. Logan umgarnt regelmäßig weibliches Personal, wie er das einfach immer tut und daraus ergeben sich dann auch gerne mal von selbst… gewisse… nennen wir es Gefälligkeiten.“ Levi gestikulierte vage, aber es war andeutend genug, dass Sam deutlich verstand. Ihre Augenbrauen ruckten nach oben, aber sie sagte nichts, verbot sich nur das Grinsen; musste für einen Augenblick daran denken, was ihre Grandma dazu sagen würde, wüsste sie, dass sie einen Abend in der Anwesenheit eines Mannes wie Logans verbrachte, der so eine sichere Bedrohung für ihre Jungfräulichkeit schien.
„Denk nicht mal dran“, betonte Levi, aber er lachte, als Sam ihn mit einem „Weiß gar nicht, was du willst“, abwehrte, fügte aber hinzu „Logan ist tabu, vertrau mir da einfach“ und auf die Art und Weise… wie sein Unterton mitschwang und was er implizierte… verinnerlichte Sam die Worte tiefer, als sie es normal getan hätte.
Aber als sie den Tisch erreichten, wusste Sam, was Levi meinte.
Als Logan sich mit den anderen am Tisch zu ihnen umdrehte, erkannte Sam ihn anhand dessen, wie er sie ansah. In den dunklen Augen brannte etwas derart offen Verwegenes, das Sam schlagartig einschüchterte. Wärme schürte sich in ihrer Magengegend, denn sein Blick implizierte so offen, dass Sam nicht so recht wusste, wie sie damit umgehen konnte. Als er lächelte, zuckten seine Mundwinkel beinahe wissend hoch.
„Ich bin Logan“, begrüßte er sie und als er ihr die Hand reichte, starrte Sam ihn ein wenig unbeholfen an, weil es ihr die Sprache verschlagen hatte und sie sich mit einem Mal so jung, so unerfahren fühlte. Die Blondine, die sich bis eben an seine Schulter geschmiegt hatte, richtete sich auf und das Glitzern in ihren Augen war so aufrichtig fröhlich, dass sie Sam in einer Welle überkam, die sie mindestens so überforderte.
„Hör auf sie zu verschrecken, Logan, ich habe dir schon so oft gesagt, wie unmöglich das ist“, tadelte sie den Mann und die Art, wie Logans Lächeln zu einem schmalen Grinsen wurde, ebenso ertappt und so wissend, so…spitzbübisch, entspannte Sam ein bisschen. Als die Frau in ihrem silbernen Paillettenkleid und den türkisfarbenen Augen sich wieder zu Sam wandte, fühlte sie sich nicht mehr ganz so deplatziert.
„Ich bin Alexis“, stellte sie sich dann vor und dabei hüpfte ihr eine Locke in die Stirn, die sie in ihrer wilden Pracht gar nicht zu bändigen versuchte. „Schön, dich endlich kennenzulernen, Levi hat schon so viel von dir erzählt, das ich heute Abend gar nicht erwarten konnte.“ Als sie lachte, lachte sie glockenhell und ehrlich und mitreißend und Sam erinnerte sich an das Telefonat, erinnerte sich an ein ähnliches Lachen und fragte sich, ob sie es war, die Levi dazu brachte, zu stottern und nach Worten zu ringen, die eigentlich leicht auf der Zunge liegen müssten.
Sam wusste nicht, ob sie je eine schönere Frau gesehen hatte. Und das gleiche konnte sie von Logan sagen, nur düsterer nuanciert. Verbotener. Womöglich auch gefährlicher. Obwohl Sam nicht viel Erfahrung hatte mit Männern, war es ein Instinkt, der ihr ganz deutlich zuflüsterte, dass es noch für keine Frau gut ausgegangen war, die sich mit Logan eingelassen hatte.
Sam fand sich erst wieder, nachdem das letzte Gesicht der Runde ihren Blick einfing; seine Gestalt löwenhaft, breit, aber geschmeidig mit den blonden Haaren, die er in einen Dutt hochgesteckt hatte und dem lilagefärbten, langen Bart in dem Sam nicht nur Glöckchen sah, sondern klingeln hörte. Seine Stimme war so warm, wie sich sein Blick anfühlte.
„Hi. Bradley. Dein potenzieller Drummer“, er zwinkerte und bei Sam brach das Eis sofort. Sie atmete durch. Spürte, wie sie auch ihre Stimme wiederfand und als sie in die Runde sah, den Blicken ebenso direkt, wie beiläufig begegnend, kehrte ihr Selbstbewusstsein zurück. Sam wusste, dass sie diesen Abend mit ihnen nicht nur überstehen sondern Spaß haben könnte. Tatsächlichen. Aufrichtigen.
Denn sie waren hier. Und scheinbar alle aus dem gleichen Holz geschnitzt. Und das war das, was sie sich schon so lange wünschte.
Gleichgesinnung.
„Schön euch kennenzulernen. Rutscht ihr ein bisschen?“


*



Sam wusste, dass etwas dabei war, sich zu verändern, als die Menge in ihrem Getöse zusammenbrach und sich in einem Murmeln zerging, dass als Schweigen über die Tanzfläche rollte. Sam nahm einen gierigen Schluck von ihrer Bierflasche und als sie atemlos innehielt und Levi einen gleichermaßen verwirrten wie fragenden Blick zuwarf, legte dieser ihr nur seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an seinen schwitzigen Körper. Mit einem knappen Fingerzeig deutete er auf die Bühne.
„Er kommt“, sprach er leise in ihr Ohr, „und gleich werden alle komplett ausrasten“, Levi zwinkerte verschwörerisch und löste dabei Verständnislosigkeit in Sam aus, die den ganzen Abend so hätte weitermachen können, lachend, tanzend, hüpfend; dabei die Freiheit auskostend, die sie hier zurücklassen müsste, sobald sie Sonntagabend den Bus bestieg. Feiern bis in die Morgenstunden, darauf hatte sie bestanden und Levi hatte nur seinen Kopf in den Nacken gelegt und gelacht, laut und gehässig und als er antwortete, dass sie das ruhig haben könne, wenn sie meinte, dafür bereit zu sein, hatte sie das als Kriegserklärung wahrgenommen und akzeptiert. Seitdem forderte sie ihn heraus, ständig. Und Sam hatte so viel gelacht, wie sie es in den letzten Jahren nicht mehr getan hatte. Sam zog ihre rot geschminkten Lippen bereits zu einer unwilligen Schnute, doch gerade, als sie ihren Arm um seine Hüfte schlang und ihn wieder zur Bar dirigieren konnte, ertönte der erste Klang. Und Sam erstarrte.
Sie hatte ihn nicht kommen sehen, doch jetzt, wo ihre Aufmerksamkeit vollkommen auf der Weite der Bühne lag, sog sie die Gestalt auf, die sich an den Bühnenrand stellte, und eine Gitarre umlegte. Sam spürte, wie sich die Atmosphäre hier, im Publikum, änderte; spürte, wie sich Aufregung in leisen Wellen ausstob, als würde es die Gewässer austesten, schauen, wie sie einen jeden bestmöglich fesseln könnte, als würde sie es so oder so. Dunkles, schwarzes Haar, hing ihm in zerzausten Strähnen in die Stirn, als er die Gitarre stimmte, aber sie beobachtete ihn regungslos in seinen geschmeidigen Bewegungsabläufen. Dabei, wie er das Riff umfasste und die Fingerspitzten um die Saiten legte; dabei die Töne ausprobierte, keineswegs roh und schroff, sondern zärtlich. Als leises Vorspiel dessen, was kommen sollte.
Sam nahm den Rest der Band kaum wahr. Die Welt um sie herum wurde leise, als sie ihre Augen auf sein Seitenprofil legte und sah, dass er die Augen geschlossen hielt und sich mit einer Intensität auf den Auftritt einstimmte, der ihr Schauer über den Rücken jagte und sie in einem Raum voller Menschen frösteln ließ. Eine Frau mit blonden Dreadlocks trat zu ihm und stellte sich vor das Mikrofon; sie trug rote High Heels und einen buntgemusterten Rock und als sie das Mikro in die Hand nahm und ein „Blakebaby, bist du bereit?“ hineinhauchte und ihn ansah… so verheißungsvoll, so neckend, hob er seinen Blick. Und als er die Augen öffnete, lächelte, nur dieser eine Mundwinkel nach oben zuckte… johlte die Menge los.
„Blake?“, entwich es Sam realisierend, aber es war nicht Levi, der antwortete. Logan hatte sich zu ihnen gesellt, diese rauchende Instanz, mit dem distanzierten Blick eines Szenekenners und Sam spürte seinen musternden Blick, aber sie konnte sich nicht losreißen.
„Männer wären gerne wie er. Und Frauen würden gerne mit ihm ins Bett.“
Sam hörte sein wissendes Lächeln und wahrscheinlich lag darin viel Wahrheit. Blake war offenkundig attraktiv. Anders attraktiv als Logan, der glatt schien, an manchen Enden zu geschmeidig. Blake war anders; anders gefährlich, anders bedrohlich. Und da, wo man bei Logan sicher in Gefahr geraten konnte, dass einem das Herz gebrochen würde, wäre Blake fataler, dessen war Sam sich mit intuitiver Schlagartigkeit bewusst. Er war wild. Die Art, wie er mit seiner Gitarre umging, konnte nicht täuschen. Nicht Sam, denn sie sah sie, diese ungeschliffenen Kanten in seinem Gesicht; dieses Etwas, dass in seinen Augen schwelte, wie es auch in ihren Augen toste, nur war es hier ein entzündetes Feuer - kein brodelnder Sturm. Blake ging tiefer. Berührte die Seele und könnte dort den allergrößten aller Schäden anrichten.
Sam gravitierte zu ihm, zu dieser Aura, die sie auch bei sich selbst spürte. Denn Sam mantelte sich oft in diese; diese Atmosphäre, die bezeugte, dass es nichts auf dieser Welt gab oder geben würde, dass sie je bändigen oder brechen könnte, denn sie war stärker. Sam hatte keine Augen für den bloßgelegten Oberkörper und dessen definierte Muskeln, diese physische Schönheit, die sicherlich anzog, wie Licht Motten faszinierte. Alles, was Sam sah, war diese ungeschönte Ehrlichkeit, mit der er sich präsentierte, das definitive Bloßlegen seines Selbst, mit der er der Menge und dieser Band gegenübertrat. Seine Essenz in einem Gitarrenspiel über ihre Köpfe jagte und damit mehr er selbst war, als sie es je sein könnte.
Neid loderte in Sams Augen auf und als Blake seinen Kopf anhob, bildete sie es sich nicht ein, dass ihre Blicke sich trafen. Sie verhakten sich und Sam erkannte in dem grellen Bühnenlicht dort ein Blau, das betörte.
Doch ehe Sam darin versinken konnte, kündigte das Klacken der Drumsticks den Auftritt an und als das Trommeln des Schlagzeuges ohrenbetäubend über sie hinweghagelte, eskalierte die Menge. Sam wurde von Levi mitgerissen in den Strom energisch tanzender und springender Körper und als sie in seine Arme flog, setzte das Gitarrenspiel Blakes ein und überwältigte sie.
Es war Magie.


*



„Nein, nein, nein, nein, nein!“
Sam raufte sich die Haare und fluchte vor sich hin, stolperte dabei über eine Bierflasche und stieß sich das Schienbein so ungnädig an einer Stuhlkante an, das ein gleißenden Schmerz durch ihr betäubtes Nervensystem jagte und sie vollends aufweckte. Sam fluchte abermals, dieses Mal lauter und deutlich unflätiger. Doch Zeit, sich zusammenzukrümmen und das zu betrachten, was ein massiver blauer Fleck zu werden versprach, blieb ihr nicht, denn dazu rasten ihre Gedanken zu sehr.
„Nein“, zischte sie nur und sah sich in dieser wilden Hektik um, mit der sie schon in einem fremden Bett, einer fremden Wohnung erwacht war – in einer Stadt, in der sie nicht mehr kannte, als einen dreckigen Busbahnhof und eine rockige Absteige. Sam stemmte die Hände in ihre nackten Seiten und pustete sich zottelige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wo zur Hölle waren ihre Klamotten? Ihre Socken? Ihre Schuhe? Ihre Tasche? Mit gewissem Grauen erinnerte Sam sich daran, dass die Spinte am Busbahnhof am nächsten Morgen vom Personal aufgebrochen wurden, wenn man sie über Nacht belagerte und der Gedanke, sich ihr weniges Hab und Gut wieder zurückerbetteln zu müssen, war einer, den sie sich gar nicht weiter ausmalen wollte, weil er sie genug graute.
„So eine verdammte Scheiße“, fluchte sie weiter. Sam machte sich gar nicht erst die Mühe, sich zu beruhigen, immerhin: wo zur Hölle war sie hier überhaupt?! Sie versuchte, den gestrigen Abend vor ihr inneres Auge zu zitieren, aber es zuckten nur unruhige Bilder in die Erinnerung, die nicht mehr als eine schnelllebige Abfolge von Details waren, die für sie keinen Sinn mehr ergaben.
Schwarze Wände und ein mit Platten und Klamotten übersäter Fußboden dominierten die Wohnung, die mit großen Bögen offen geschnitten war. Das Schnarchen anderer Personen durchzog die Räumlichkeiten und aus einem anderen Zimmer hallte ein ersticktes, sich konstant wiederholendes Stöhnen, dass sich Mühe gab, leise zu sein, und dann doch wieder nicht, und Sam schauderte es. Die Zimmer waren spärlich eingerichtet, aber durch die dicht und bunt behangenen Wände, wirkte die Wohnung keineswegs leer. Trotzdem fühlte sich Sam verloren, wie sie so da stand, in dieser Boxershort, die die eines Mannes war und dem Unterhemd, dass auch keineswegs ihres war und die Frage aufwarf, was zur Hölle mit ihrem BH geschehen war.
Verdammt. Verdammt. Wo war Levi? Wo waren überhaupt all die anderen? Sam ließ ihren Blick nervös umherzucken und als ihre Augen auf einen nackten Oberkörper fast unmittelbar vor ihr prallten, zuckte sie mit einem unterdrückten Aufschrei auf und wich automatisch ein paar Schritte zurück.
„Scheiße!“, entfuhr es ihr atemlos.
„Sorry“, entschuldigte er sich und Sam erkannte ihn sofort. Blake.
Das war ja ganz grandios.
Seine schwarze Boxershort hing gefährlich tief auf den Hüftknochen und ihn jetzt so, aus der Nähe zu sehen, kurbelte Sams Erinnerungsvermögen der letzten Nacht an. Er hatte sich später am Abend zu ihnen gesellt, erinnerte sie sich plötzlich. Man hatte sie einander vorgestellt. Er hielt zwei Kaffeetassen in der Hand und der Blick, mit dem er sie betrachtete, fast schon musterte, war für Sam schwer zu lesen. Instinktiv schlug sie die Arme vor ihrer Brust zusammen.
„Wo… wo ist Levi?“, verlangte sie zu wissen und als sich auf Blakes Zügen ein leichtes Grinsen andeutete und er mit dem Kopf leicht in die Lichtung der omnipräsenten Sexgeräusche ruckte, wurde Sam rot – aber es beantwortete ihr eine Frage. Zumindest glaubte sie das.
„Also…“, druckste herum, „ist das eure Wohnung?“
„Richtig“, Blake nickte und Sam sah ihn an, wie er so offenkundig verschlafen und trotzdem überraschend wach vor ihr stand, so nah, dass der gestrige Abend und der Moment auf der Bühne einem Trugbild ihrer eigenen Träume glich. „Hier“, Sam sah auf seine Hände und entdeckte erst jetzt, dass er zwei Tassen in seinen Händen hielt, die herrlich nach starken Kaffee dufteten.
„Wollte ich dir gerade ans Bett bringen. Extrastark“, fügte er hinzu, „um auch Rapunzel aus dem Schlaf zu wecken“, er zwinkerte auf diese… vertraute Art, die Sam nur zögerlich die Hand nach der Tasse ausstrecken ließ. Sie bedankte sich leise murmelnd, aber noch während ihre Hände sich um die Tasse schlangen, hielt sie inne. Scheiße, sie musste einfach fragen.
„Haben wir?“, platzte es dann aus ihr heraus und sie sah ihn unverwandt an. „Ich meine,… du…“, sie gestikulierte, weil sie sah, wie das Blau seiner Augen begann, aufzufunkeln, „du weißt schon, haben wir-„
„Miteinander geschlafen?“
Sams Lippen wurden ein schmaler Strich. Aber dann ließ sie die letzten Reste ihrer Barrikade sinken. „Ja.“
„Gott, nein“, Blake lachte auf und etwas an der Art, wie er lachte und daraufhin einen amüsierten Schluck von seinem Kaffee nahm, als wäre das die Utopie des Abends, machte das Ganze irgendwie nicht besser. Auf seltsame Art verletzt, kam das „Verstehe“, eisiger über ihre Lippen, als sie es beabsichtigte.
Blake blickte sie seitlich an und bedachte sie mit abwägendem Blick. Dann sagte er, bemüht einfühlsam „Nein. Also… so habe ich das nicht gemeint. Du bist durchaus-„, aber Sam wollte es nicht hören. Nicht jetzt.
„Lass es. Okay?“ Ein entnervtes Aufseufzen glitt über ihre Lippen und Sam nahm einen Schluck von dem Kaffee, der sich warm über ihre Zunge legte und tatsächlich wohltat. Sie schwieg kurz.
„Danke. Und sorry, aber ich-„
„Schon gut“, Blake zwinkert und griff hinter sein Ohr, wo er zwei Zigaretten hervorkramte. Als er ihr versöhnlich eine davon hinhielt, nahm Sam dankend an und etwas an der Art, wie er sie ansah, mit dieser leichten Belustigung, die an seinen Lippen zupfte, ließ ihren Ärger verfliegen.
„Das ist genau das, was ich jetzt brauche“, schloss, sie, schon deutlich fröhlicher.
Blake lachte leise und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.
Sam tat es.
Der Balkon, auf den er sie führte, war weitläufiger, als sie es erwartet hatte und die Frage, wieviel sie für diese Hütte blechen mussten, lag ihr auf der Zunge. Sam stellte sich an das breite Metallgeländer und stellte ihre Tasse darauf ab und als Blake sich neben sie stellte und sich zu ihr neigte, um ihr die Zigarette anzuzünden, ließ sie es bleiben. Den Rauch tief inhalierend, genoss sie den Augenblick für eine schweigende Weile und nahm das Umfeld in sich auf, dass verglichen zu Blackpool so ein anderes war. Sie wusste, dass sie sich hieran gewöhnen könnte und das war das Gefährliche; wusste, dass sie sich hier finden könnte, zusammen mit Levi. Auch mit Blake, schloss sie, als sie ihm einen verstohlenen Seitenblick schenkte und ihn dabei beobachtete, wie er sich auf das Geländer abstützte und mit seinem zerzausten Morgenhaar gedankenversunken in den Vormittag starrte.
In der Ferne glitzerte das Meer und wären die Geräusche der Stadt hier nicht so vorrangig, hätte man sicherlich das vertraute Kreischen der Möwen ausmachen können. Sam tat es ihm gleich und lümmelte sich neben Blake ans Geländer. Kein Wunder, dass Levi sich hier so wohlfühlte. Wäre sie er, würde sie auch nicht mehr zurückwollen. Und jetzt, wo er sie in seine Welt eingeführt hatte, war es schwer, böse mit ihm zu sein; schwer, all das nicht zu verstehen. Wenn er dann auch noch eine Frau gefunden hatte, die…
„Ist er da mit Alexis drin?“, fragte Sam und begann, mit ihrer freien Hand eine leicht verfilzte Strähne ihrer Haare zu drehen.
Blake riss seinen Blick los und bettete sein Kopf auf seinen Oberarm. Als er sie ansah, war er ungeniert amüsiert, aber seine Lippen bildeten nur ein leichtes Lächeln. „Nein“, antwortete er schlicht. „Wie kommst du darauf?“
Ihre Achseln zuckten nach oben. „Ich dachte nur. Weil… Ich dachte, ich hätte sie am Telefon schonmal gehört“, erklärte sie dann, den Rauch ausblasend.
Blake lachte leise. „Alexis ist eine gute Freundin. Von uns allen. Mehr ist da nicht.“
Sam seufzte ungnädig.
„Was ist?“, schmunzelte er.
„Sie ist großartig, das ist los“, murrte Sam dann, „Wäre sie es gewesen, wäre ich vermutlich immer ein bisschen… du weißt schon… naja, vielleicht eingeschüchtert gewesen. Niemand hat so großartiges Haar“, lachte sie dann, „Aber sie ist nett. Echt nett.“
„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen“, grinste Blake und nahm einen weiteren Zug von der Zigarette, aber er verharrte in der Position und betrachtete Sam weiter. „Aber Alexis hat gerade eine Trennung hinter sich und Levi ein wenig etwas aufzuholen…“, er ließ sich von einem weiteren, abrupten Stöhnen absichtlich unterbrechen, grinste dann abermals, dieses Mal etwas verschlagener, „Es gibt daher nicht wirklich jemand speziellen“, er blies den Rauch genüsslich in den Tag, „Dafür immer die eine oder andere.“
Es war schwer sich für Sam das vorzustellen, denn sie kannte Levi nur im Kontakt mit ihren Mitschülern und da hatte es nicht den Anschein gemacht, als hätte er überhaupt Interesse an auch nur irgendeinem Mädchen gehabt. Aber Sam schätzte, dass es hier etwas anderes war. Das die Mädchen vielleicht aufregender waren; die Mädchen vielleicht gar keine Mädchen mehr, sondern Frauen und er darin einen anderen Reiz sah und fand.
„Wir dachten ja alle, du wärst das, weißt du?“, fuhr Blake fort und sein Tonfall wurde einen Hauch ernster, „Seine Sam, von der er immer berichtet hat. Ich bin gestern fest davon ausgegangen, seine Freundin kennenzulernen. Aber das hier“, er grinste über ein weiteres Stöhnen, dass sich dieses Mal mit de, Rucken eines Möbelstücks gegen die Wand paarte, „spricht eine andere, eine eindeutigere Sprache.“
„Ich dachte, eine eindeutige Sprache wäre bereits die Tatsache gewesen, dass ich bei dir im Bett geschlafen habe.“
Sam wusste nicht, was sie überkam, als sie das sagte, aber ihre Worte waren impulsiv und erklären konnte sie es sich nicht, aber irgendetwas in ihr wollte, dass sie das klarstellte. Überdeutlich. Dass sie und Levi nicht das waren, wovon Leute so oft ausgingen. Und Sam war es vor allem wichtig, dass sie es vor ihm klarstellte. Für ihn.
Der Ausdruck seiner Augen änderte sich und sein „Da hast du Recht“ war leiser und fuhr ihr unter die Haut. Aber gerade, als sie versuchte, ihn zu lesen, war da wieder das Lächeln des gestrigen Abends, dieses Halblächeln, das Zucken seiner Mundwinkel. Der Wind strich ihm durch das dunkle Haar. „Also erinnerst du dich doch wieder, hmn?“
Verdammt sollte er sein.
Sam schnalzte mit kokettierend mit der Zunge und grinste einfach nur; hatte keine Lust, zu versuchen, sich detaillierter mit den Erinnerungsfetzen zu beschäftigen, die Übergeben, frische Klamotten und einen dringenden Schlafplatz beinhalteten. Stattdessen nahm sie wieder einen Schluck Kaffee; stattdessen rauchte Sam weiter und nahm sich vor, den Moment zu genießen, hier auf dem Balkon, der in einem verwinkelten Viertel über einen dreckigen Innenhof ragte.
Sie genoss den Wind auf ihrer Haut und die Sonnenstrahlen, die sich durch das bewölkte Firmament gekämpft hatten. Sam hätte so Stunden verbringen können, wusste sie.
Aber Blake schwieg nicht.
„Levi hat erzählt, dass du singst“, sprach er und in seinen Worten lag keine Frage, nur eine Feststellung, ebenso musternd und austestend, wie anerkennend. Sams Herz hüpfte leicht, aber es war keine Nervosität mehr, die kam, keine Unsicherheit, die sich durchkämpfen wollte. Nur… Entspannung. Eine Gelassenheit, die bestärkend war.
„Ja.“
Mehr sagte sie nicht.
Sam sah, wie Blake aus den Augenwinkeln lächelte.
Es war befreiend, es endlich so sagen zu können.


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Verfasst: Do 20. Jul 2017, 14:05 


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