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 Betreff des Beitrags: Kapitel 05
BeitragVerfasst: Mi 23. Aug 2017, 12:00 
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Registriert: Di 30. Mai 2017, 07:06
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Kerzengerade war dein Rücken, wenn du dich den winterlichen Tosen der Gischt gestellt hast, wenn schäumendes Weiß ein schiefergraues Meer krönten und die meisten, sogar die Anwohner, die fragwürdige Gesellschaft des Meers mieden, obwohl wir uns ihrer doch nie ganz erwehren konnten. Ebbe und Flut, Winter und Sommer beeinflussten das Leben hier mehr, als es anderswo tat, aber bei dir hatte ich nie das Gefühl, als würdest du dir das, was dir am bequemlichsten war, herauspicken. Stattdessen stelltest du dich den Facetten und nahmst sie an, denn nur, wer mit dem Fluss aller Dinge ging, konnte eines Tages darauf hoffen, sich zu erheben, nicht wahr?

Du hast die Nähe zu der uralten Macht unserer Welt immer gesucht und ganz so, wie andere Bäume umarmen, um sich zu erden und zu finden, glaube ich, dass du dort deine Schwächen in den Sand gleiten und hinforttragen ließest, weil es das einzige war, dass du dich zu tun imstande sahst – weil es das einzige war, dass du für dich und dein Seelenheil tun konntest und wolltest.

Dein konkurrierender Geist hat dir dieses Rückgrat gebrochen und im Anbetracht dessen, was für eine Musikerin du sein wolltest und später auch warst, war dieser Bruch wichtig – egal, mit welchen Komplikationen und mit welchem Verrat er einherging. Ich weiß, dass etwas in dir erwachte, als wir trotz größter Bemühungen keinen Gig mehr bekamen in diesem Jahr, ganz so, wie Blake es dir vorgeworfen hat, ganz so, wie es uns allen so klar war, als du Logan die Worte ins Gesicht geschleudert hast.

Der Sommer an den Seitenlinien anderer Träume und Ambitionen, der Zwang, zu akzeptieren und sich losgelöst zu versprechen, dass es bald anders laufen könnte und würde, ließ deine Funken in ein Feuer aufstieben und gab dir den notwendigen und finalen Anreiz, dein Leben in Reihe und Glied deiner eigenen Träume zu peitschen. Es war wichtig, dass du diese Scherben aufsammeltest und nicht länger versuchtest, sie zu flicken – es war wichtiger, sich ihrer zu entledigen. Und das tatest du.

Ich hasse es.

In dem Sommer, als ich das erste Mal durchatmete, nutzte ich ihn, um genau das zu tun. Mich zu finden, in meiner Freiheit und wie wichtig es war, Träume mit Pflicht zu verbinden sah ich nicht nur an Bradley und Logan, sondern auch an Blake – vor allem an Blake. Eine vernünftige und rationale Einteilung schien mir das, was ich mir selbst am meisten schuldig war, nach dem Chaos meiner eigenen Jugend mir nichts Gutes gebracht hat. Blake sagte mir oft, dass es nur an uns liegen konnte, unser Leben auf die Reihe zu bekommen, nonchalant und unpoetisch auf die Fakten reduziert, und Blake hatte Recht.
Aber Sam? Hätte ich gewusst, was kommt; hätte ich gesehen, was die Jahre bringen, hätte ich nicht nur versucht, mehr zu sein – sondern das zu sein, was du brauchtest. Ein fähigerer Levi. Durchaus auch ein willigerer. Vielleicht auch einfach ein risikofreudiger.

Es ist dir schwer gefallen, vor allem in dieser Zeit, dass, was zwischen dir und Blake stand und sich geformt hatte, zu bekennen. Tief in dir war immer diese Akzeptanz, dieses heimliche, allerletzte Zugeständnis nur für dich alleine und niemanden sonst, dass du für dich, egoistisch und ängstlich zu bewahren versuchtest. Trotzdem hat dich es nicht vor dem Fehler bewahrt, Liebe mit Schwäche gleichzusetzen und Angst davor zu haben. Denn Liebe, bedingungslose und ausufernde, wurde immer bestraft und du hast daraus gelernt Sam, aus diesem Versagen und hattest ab da zu tun, Angst und Panik in diesem bedrohlichen Wechselspiel Einhalt zu gebieten, damit es dich nicht formvollendet lähmen konnte.

Es war dir wichtig, nicht als schwach wahrgenommen zu werden. Es war dir wichtig, nicht auf Blake reduziert zu werden und da er so integriert in diese Welt war, die du gerade erst betreten hattest, konntest und wolltest du ihm sehr lange nicht das geben, wonach es ihm wirklich stand.
Denn Blake war nicht deine Mutter.
Blake war nicht deine Großmutter.
Und Blake war auch nicht ich, Levi Delaney, der Tollpatsch, der unstrukturiert die eigene Umsicht vergaß, denn in Blake lag mehr Ruhe und Bedacht, als man es ihm zusprechen würde.
Blake war mindestens so aufmerksam, wie Logan es noch heute ist. Du wolltest diese Nähe zu ihm, Sam. Du wolltest ihn und du brauchtest ihn in dieser Phase deines Strebens auch auf diese Art und dafür schämtest du dich; schimpftest dich eine schwache und abhängige Frau und hast es gehasst.
So sehr.
Aber Blake liebte dich damals immer einen Hauch, immer ein stückweit mehr, als du es tatest. Und das war vielleicht sogar wichtig und gut war es auch, Sam.
Aber nur in den Anfängen.
Nur da.



*

Es fiel Sam nicht leicht, dem Haus, in dem sie aufgewachsen war, den Rücken zuzukehren und der Umschlag mit dem Geld, den sie in ihrer Handtasche verstaut trug, machte es auch nicht besser. Der Drang, sich noch einmal umzusehen, war so überwältigend, dass sie stattdessen ihre Schritte beschleunigte, denn Sam wusste, würde sie noch einmal sehen, würde sie auch nochmals spüren – alles auf einmal.
Wie es gewesen war, dort aufzuwachsen, was die Frau ihr bedeutet hatte, die spätabends auf den Treppen vor ihrer Haustüre Zigarillo aus Kuba geraucht hatte und dabei in dieser abstrusen, widersprüchlichen Erscheinung gleichermaßen jünger und älter ausgesehen hatte, als sie es letztlich gewesen war. Sam würde die abgenutzten Kanten wieder auf der Haut ihres Kinns spüren, auf die sie so verheerend gefallen war, dass man die Platzwunde hatte nähen müssen – und ihre Augen würden wieder hochwandern, zu dem kleinen Dachfenster, auf dessen ausladenden Fensterbank Sam mehr als nur einen Abend bis spät in die Nacht gesessen war und ihre Sehnsüchte der Kälte der Nachtluft anvertraut hatte.
All das, wusste Sam, hätte sie ertragen können, wäre es nicht der Geist ihrer Mutter, der heute schwermütig über ihren Gedanken hing und ein Aufatmen, ein Erkennen der Situation für das, was sie war, erschwerte. Sie hatte sie zurückgelassen, die kleine Metallkiste mit dem verblichenen Muster spielender Kinder am Küchentisch, in der sich alles befand, was ihre Großmutter noch von ihr gehabt hatte. Eine Haarlocke war auch darunter gewesen, genauso braunnuanciert, wie Sams Haare es waren, mit einer Geschmeidigkeit an den Fingerspitzen, die Sam sofort wieder die Schönheit ihrer Mutter heraufbeschwören ließ und auch, wenn die Versuchung groß gewesen war, sich diese Strähne, nur diese eine, allerletzte Sache anzueignen, hatte doch Sam am Ende auch sie wieder zurück zu den anderen Sachen gebettet. Sollte irgendwann irgendjemand nach ihr, diese kleine Kiste unter der Holzdiele, nur einen Schritt vom Wandkleiderschrank entfernt, entdecken und sich diesem Schatz inbrünstig und voller Neugierde hingeben; dazu bereit, das Leben, das man dort hineingequetscht hatte, zu entdecken und zu entblättern.
Doch nicht sie.
Sam hatte für sich entschieden, dass sie es nicht wollte. Nicht mehr. Die Zeiten, in denen sie sich darüber geärgert hatte, dass ihre Großmutter ihr auf jedem Schritt ihres Weges versuchte, auszureden, dass ihre Mutter eine Suche nicht wert war, egal wann und egal wie in Sams Leben, verstand sie jetzt nicht nur, sondern sah, wie toxisch es war, zu glauben, dass es noch etwas gab, dass sie an diese Frau band.
Die einzige Mutter, die sie wahrlich kannte, war nicht die gelockte Frau mit dem leichtfertigen, eleganten Schritt gewesen und Sam wusste nun, dass Mütterlichkeit nicht zwingend etwas mit der direkten Abstammung zu tun haben musste, noch konnte und das es okay so war; dass nicht jeder dieses glückliche Privileg in seinem Leben wissen konnte und das man sich selbst ausdünnte, in dem Prozess zu versuchen, etwas zu retten und wiederzuerlangen, das man nie gehabt hatte und höchstens Illusion war – gleich, wie lockend und gleich wie schön.
Das abendliche Zirpen der Grillen begleitete Sam, als sie den Gehsteig ein letztes Mal den Weg aus der verwinkelten Straße hinauslief und sich von der sommerlichen Pracht der umliegenden Gärten verabschieden ließ. Sam hatte sich noch nicht um eine eigene Bleibe bemüht, obwohl sie jetzt nicht nur die finanziellen Mittel, sondern auch das Alter hatte, um sich selbst umfassend umsorgen zu können. Doch so fremd dieses Zimmer in dem Motel anfänglich auch gewesen war, so beruhigend empfand Sam es jetzt, wenn sie spätabends auf die kleine vorstehende Veranda treten und andere Bewohner mit einem kurzen Nicken begrüßen konnte, und sich den Wellen entgegenlehnte. Die Last des Tages mit dem Geräusch und der einen oder anderen Zigarette von sich wusch. Rhona, die Verwalterin, stellte keine Fragen, solange man sein Zimmer pünktlich bezahlte und da Sam das wochenweise im Voraus tat, ließ man sie in Ruhe, reinigte ihr Zimmer und grüßte sie, dann und wann. Man kannte sie, wusste Sam, und womöglich wusste man auch, wer sie war; wessen Namen sie trug und wie ihre Geschichte lautete, dazu war Blackpool trotz seiner Größe zu verwurzelt und gesprächig. Trotzdem aber gewährte man ihr hier den Hauch jener Anonymität, die sie in Lytham St. Annes immer so losgefesselt genoss.
„Wie ist es gelaufen?“
Seine Frage erreichte sie ruhig und Sam, die ihren Blick von ein paar Mohnblumen losriss, die hoch durch einen alten Gartenzaun wucherten, lächelte ihm schwach entgegen.
„Ich hab dir doch gesagt, ich komme alleine zurecht.“
„Ich weiß“, antwortete er. Und trotzdem stand er da, eine Hand in den schwarzen Stoff der Jeanshose vergraben und mit der anderen Hand lässig rauchend und hatte sich an eine der schwach leuchtenden Straßenlaternenpfeiler gelehnt und wartete im sanften Licht, auf sie und darauf, dass sie näher kam, zu ihm. Der Blick, den er ihr zwischen vereinzelte Strähnen dunklen Haares zuwarf, war ruhig und aufmerksam und obwohl Sam wusste, dass sie das hier alleine hätte bestreiten können, tat es gut, ihn zu sehen. Als sie Blake erreichte und vor ihm zum Stehen kam, war das erste, was sie tat, ihm die Zigarette aus den Fingern zu entwenden. Und als sie den Filter an ihre Lippen führte, lehnte sie sich an seine Seite und als Sam spürte, wie er den Arm um ihre Schulter legte, erlaubte sie sich, kurz ihre Augen zu schließen.
„Ich weiß nicht, warum es mir so schwerfällt“, gab sie dann leise zu. „Ich habe diesen Ort gehasst.“
„Nein, hast du nicht.“ Sam reckte ihren Kopf und wollte Blakes Blick suchen, doch sie sah nur sein schmales aber markantes Seitenprofil und wie er in die Ferne sah, seine Augen an Hausfassaden, Bäumen und einer Schaukel vorbeigleiten lassend. Sie lächelte erneut, als sie den Rauch ausblies und sah kurz auf ihre Schuhe hinab, die dunkel glänzenden Chelseaboots, ehe sie den Kopf leicht hin und her wog, aber dann nickte. „Habe ich nicht, du hast Recht.“
Die Wärme, die Blake ausstrahlte, war versöhnlich, und Sam merkte, dass sie dankbar war, dass er trotzdem hier war – das er hier gewartet hatte, anstatt sie durch das Übergabeprocedere zu begleiten, in dem sie ebenso fahrig, wie zielstrebig gewesen war. Es zog eine neue Familie ein. Vater, Mutter und zwei Töchter. Sam hatte sich trotz ihrer Entschlüsse nicht länger als nötig dort aufhalten wollen und Mitgefühl wäre etwas gewesen, dass es sie noch schlechter hätte ertragen lassen.
„Wie geht es jetzt weiter?“, erkundigte sich Blake und Sam löste sich mit einem leisen Seufzen von ihm und trat einen Schritt in den Pegel des Lichts.
„Ich weiß es nicht“, gestand sie und lachte leise auf, aber dieses Mal klang es nicht freudlos. „Ich dachte mir, ich fange erwachsen an, weißt du. So, wie das von mir erwartet wird. So, wie es zu sein hat“, sie nickte. „Eine Wohnung, dachte ich mir, und eine Küche“, betonte sie, „mit einem dieser Kühlschränke, die jetzt modern sind, du weißt, welche ich meine – die doppelfarbigen Dinger. Ähnlich, wie diese VW-Busse“, Sam grinste bei dem Gedanken daran, wie sie in dieser Küche herumwirbeln könnte, in ein zitronenfarbenes Cocktailkleid gekleidet mitsamt einer Schürze, die farblich auf das Interieur abgepasst war. Die Haare wären in einem steifen Pferdeschwanz, jedwede Makel daran mit Pomade fest auf ihren Kopf geklatscht und das Lächeln pfirsichfarbener Lippen auf ihren Zügen festgefroren.
„Aber“, fuhr Sam fort, und jetzt erlaubte sie sich eine kleine Drehung und kam springend direkt vor ihm zum Stehen, „ich denke, ich fange klein an und hole mir etwas, das ich schon seit gefühlten Ewigkeiten möchte.“
Blake, der sie mit diesem Lächeln auf den Zügen betrachtete, die Wohlgefühl in ihr verströmen ließ, die Gift war, für die Traurigkeit, die ihre Knochen hatte schwermachen wollen, richtete sich auf und ihr entgegen. Und Sam? Lächelte ihn von unten herauf an, den Größenunterschied zwischen ihnen nun nicht nur direkt spürend, sondern auch ausnutzend, denn es war leichter, ihn zu necken, wenn er sich ihr so zuneigen musste.
„Ein rotes Kleid, hmn?“, schlussfolgerte er und nun grinste Sam nur, ehe sie verheißungsvoll mit der Zunge schnalzte. „Tzja.“
„Als wäre es mir nicht aufgefallen, wie du immer um den roten Man-„
„Den Militarymantel“, korrigierte sie ihn in leisem Singsang und Blake lachte nun leise.
„- Verzeihung, den roten Militarymantel herumschleichst.“
Sam machte keinen Hehl daraus, dass Blake mit seiner Beobachtung Recht hatte, denn das zu wissen oder zu erkennen, war keine Kunst. Die Farbe Rot zog sie seit jeher an und übte fast eine kindliche Faszination auf Sam aus und beim Lippenstift fing es nur an und hörte dort keineswegs auf. In einer Welt voller Brauntöne und hellen Abstufungen eines schlammigen Grüns oder irgendeines blassen Gelbs, liebte sie die Kontraste, die Rot und auch Schwarz in Garderobe bringen konnten und könnte sich bei Einkaufsbummeleien stundenlang einer instinktiven Suche nach Rot hingeben. Levi hatte scherzend vorgeschlagen, ob sie sich nicht für Modedesign engagieren wollte, woraufhin Bradley lachend eingestimmt hatte. Sam gab zu, darüber nachgedacht zu haben, durchaus mit nachdenklichem Bedacht für das, was es bedeuten könnte. Aber am Ende des Tages war sie nur ein Mädchen, das schöne Dinge besitzen wollte, weil sie selbst nie welche besessen hatte.
„Dann lass uns jetzt eins kaufen gehen.“
„Jetzt?“, Sam zog die Augenbrauen hoch, während sie einen letzten Zug nahm. „Aber wollten wir nic-„
„Wir wollten“, stimmte Blake zu, der seinen Arm um ihre Schultern schlang und sie einfach mitzog. Sam stolperte ihm kurz hinterher, schnickte dann aber den Rest der Zigarette weg und schmiegte ihren Arm um seine Hüfte. „Aber die Neuigkeiten können warten“, entschied er. „Auch für dich. Und wir treffen uns mit den anderen ohnehin nicht vor sieben Uhr. Fury kann warten. Immerhin ruft ein rotes Kleid“, schloss er und etwas an seiner Stimme, diese Wärme und zuneigende Bereitschaft darin, ließ Sam das Thema Bandneuigkeiten fallen lassen, zumindest für diesen Moment und ließ sich auf das ein, was Blake verhieß.
Der Schatten ihres alten Zuhauses, des kleinen Bed’n’Breakfast schwand in ihrem Rücken und als Sam mit einem Nicken schließlich zustimmte, und sich nicht nur in die Richtung der Innenstadt ziehen ließ, sondern selbst den Weg dorthin einschlug, schüttelte sie ihn ab und verdammte ihn in jene Vergangenheit, in die sie auch ihre Mutter geschickt hatte.


*



Sam hatte ihre Hand dicht in Blakes Finger verschlungen und ließ sich von ihm überwältigt in die kleine Boutique führen, die sie seit Jahren vom Gehsteig der anderen Straßenseite aus bewunderte. Sam hatte sich oft gefragt, wie der Laden sich halten konnte, denn so geschmackvoll er war, so klein war er auch und abseits der Sommersaison war es selten vorgekommen, tatsächliches Treiben und Leben darin zu erblicken.
Diese Gedanken bestätigten sich, als sie an dem ersten sichtbaren Preisschild vorbeischlenderten und urinstinktiv gab sie ihm ein Zeichen, ein kleines, kaum erkennbares aber deutlich zu verspürendes Zeichen, indem sie ihre Finger zusammendrückte, um ihn zu zeigen, dass es besser wäre, sie gingen einfach. Die Verkäuferin lächelte sie freundlich an, aber ihre Augen blieben aufmerksam, was Sam ihr nicht verübelte. Blake und Sam waren mehr als abseits ihres gewöhnlichem Klientel, wusste sie und sie machte es ihr nicht zum Vorwurf auf ihre Waren achtgeben zu wollen. Tatsächlich wollte Sam genau deshalb gehen; weil es ihr unangenehm war und weil das Gefühl, hier deplatziert zu sein, sich in hochschlagenden Wogen über ihr türmte. Doch Blake zog sie weiter an die Verkaufstheke heran. Grüßte die Verkäuferin nur mit einem Kopfnicken und seinem unwiderstehlichem Lächeln und anstatt weiterzugehen und das Verlorensein in Sam zu schüren, indem sie suchend durch die Kleiderreigen schlenderten, wandte er sich direkt an die Frau mit den roten Haaren, die auf dem Scheitel bereits zu ergrauen begann.
„Wir sind auf der Suche nach dem roten Kleid“, sagte er unverwandt und Sam musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu grinsen – und ihn nicht leicht in die Seite zu boxen. Es machte ihm Spaß, das sah sie; mit seinen freigelegten, tätowierten Armen und seinen Piercings, die ihn so deplatzierten, direkt zu konfrontieren. Blake war für gewöhnlich ruhig und jemand, der Taten immer lieber sprechen ließ, als Worte oder irgendwelche Aktionen, aber dann und wann umtrieb es ihn, wusste und sah Sam und mit seiner Erscheinung zu spielen, in die mehr Bedacht reinfloss, als man es ihm zutraute, konnte durchaus das Kind in ihm entfesseln.
„Dem roten Kleid, das die letzten sechs Monate in Ihrem Schaufenster hing“, schaltete sich Sam deshalb erklärend ein und die Verkäuferin, die bisher interessiert abwartend den Kopf geneigt hatte, lächelte plötzlich, ehe sie mit ihrem Kopfnicken zu wissen zu verstehen vorgab.
„Das wurde leider letzten Donnerstag verkauft“, bedauerte sie. „Allerdings“, fügte sie hinzu, denn ihr entging das Schwinden Sams Lächeln keineswegs, „hätten wir das gleiche Kleid noch in einem edlen Smaragdgrün und ich denke, dass könnte Ihnen ebenfalls sehr gut stehen, wenn ich Ihren Teint so betrachte.“
Sams Freude sank. Smaragdgrün. Grün. Eine Farbe, die ihr durchaus stand, wusste sie und vielleicht-
„Wir sind leider explizit auf der Suche nach etwas Rotem“, schaltete sich Blake nun wieder ein und unterbrach ihre Gedanken, die gerade dabei waren, ihr das Kleid einreden zu wollen, dass sie so sehr bewundert hatte – ganz gleich, dass das Smaragdgrün ein Kompromiss wäre.. Sam sah ihm seitlich entgegen. Er war freundlich, aber deutlich.
„Wenn es nur um die Farbe geht, nicht um das Modell“, präzisiere die Verkäuferin und sah ihnen beiden mit einer kurzen Kunstpause entgegen,“… dann sollten Sie mir folgen. Ich habe selbst eine kleine Schwäche dafür, wissen Sie.“ Mit einem Zwinkern und einer ausladenden Geste lotste sie Sam und Blake über die schweren Teppiche, welche auf der kompletten Ladenfläche ausgelegt waren und wenngleich der tiefe Flor das Klacken ihrer Stöckelschuhe verschluckte, war die Energie ihrer Schritte, zielstrebig und wissend, zu hören, als sie an schön dekorierte Büsten und offenen Schränken in einen Bereich lotste, der sich durch einen kleinen Samtvorhang dorthin absetzte, wo die besseren Stücke hingen. Sam, die sich in eine Tempellandschaft der alten Griechen versetzt fühlte, von der Aufmache, bishin zu dem Dekor und den Kleidern, die dort farbenprächtig und in den verschiedensten Ausführungen unter gedimmten Licht hingen, wollte instinktiv flüchten, da es auch kein einziges Preisschild war, dass sie hier weder auf den ersten, noch auf den vieren Blick entdecken konnte. Immerhin - ob sie sich das leisten wollte? Als Blake die Frage der Verkäuferin, ob sie Ihnen denn sonst behilflich sein könnte, verneinte und sie zurückließ, in der riesigen Auswahl, in der genügend rote Tupfer durchschimmerten, atmete Sam aus.
„Heilige Scheiße“, in ihren Worten lag durchaus unfassbares Wundern, „Blake, ein paar der Fetzen sind bestimmt tausende von Pfund wert“, stieß sie aus und löste sich aus seiner Hand, nur um ihre Hände vor ihrem Körper miteinander zu verknoten, nervös und unablässig. Das Gewicht des Geldes in ihrer Handtasche schob sich in ihr Bewusstsein und ließ sie der Situation besonders gewahr werden.
„Womöglich“, gab er zu und beobachtete sie dabei, wie sie begann, die vereinzelten Kleider zu begutachten und er lächelte, auch das hörte Sam, die versuchte, die dargebotene Pracht irgendwie gemäßigt zu verdauen. „Es ist nur ein Kleid“, setzte er dann nach, als hörte er ihre Selbstzweifel und Sam, die gerade ihre Hände in den nachtschwarzen Samt einer Abendgarderobe grub, nickte bestätigend.
„Richtig. Nur ein Kleid und ich weiß nicht, ob sich das lohnt. Ob ich das möchte.“
„Wie lange schleichst du schon um diesen Laden?“, fragte er sie und Sam, die ahnte, worauf das hinauslief, seufzte. „Jahre“, gab sie leiser zu.
„Du kaufst dir keinen Fetzen überteuerten Stoff. Du kaufst dir einen Traum. Seelenbalsam. Es ist egal, ob es zehn Pfund, hundert Pfund oder tausend Pfund kostet. Du hast dieses Geld. Also tu es.“
Blake wusste selbst, dass er Recht mit dem hatte, was er sagte, und seine Intonation bot auch überhaupt gar keine Diskussion oder Auseinandersetzung mit der Materie an. Sam wusste, dass es wichtig war, sich etwas zu gönnen und sich in diesem Zuge das auch einzugestehen, war ebenso wichtig. Und es war essentiell, dass sie es sich selbst holte, nur für sich. Sam strich sich eine Haarsträhne über die Schulter und warf ihm einen wissenden, aber auch kapitulierenden Blick zu. Dann neigte sie sich ihm zu. „Ich möchte, dass du es mir aussuchst“, sagte sie dann mit unvermeidlicher Festigkeit in der Stimme. Blake zog seine Augenbrauen nicht hoch, aber er löste die Arme aus jener Verschränkung, in die er sie gebracht hatte.
„Bist du dir sicher?“, schmunzelte er, aber sein Blick blieb ernst und er war genauso direkt, wie Sam sich ihm unverblümt zugeneigt hatte. Sie wusste, was es war, dass er hier für sie tat und Sam wollte, dass er hier einen Anteil daran hatte, egal wie gering er doch war. Denn das hier, das war doch genauso besonders und bedeutend, wie es das Kleid für sie war.
„Du weißt, was mir gefallen würde…“, er schnalzte mit der Zunge und in diesem spielerischem Nachahmen ihrer seltsamen Angewohnheit lag mehr, als nur ein Hinweis, Sam wusste das. Etwas funkelte auf in Sams Augen, als sie nun einen Schritt von den Kleidern wegtrat und die Umkleide suchte, die sie im hinteren Eck des Bereichs ausladend und geräumig entdecken konnte.
„Ich weiß. Und jetzt ist deine Chance. Also überrasche mich.“
Sam entledigte sich ihrer schwarzen Strickjacke ebenso, wie ihrer Handtasche und als sie die Sachen auf einen kleinem Hocker ablegte, den man neben der Umkleide positioniert hatte, warf sie ihm einen letzten Blick zu und öffnete den Reisverschluss ihres Rockes in einer einfachen, aber deutlichen Geste. Das Kleidungsstück rutschte ihre Hüften hinab – aber noch ehe es preisgeben und eindeutige Blicke ermöglichen konnte, zog Sam auch schon den Vorhang zu und sah nur noch, wie Blake dieser Bewegung mit einem Blick folgte, der eine explosive Mischung aus Annehmen der Herausforderung und Sprachlosigkeit war.
Als Sam sich die restlichen Kleidungsstücke vom Körper pflückte, lächelte sie frohlockend in sich hinein und dieses Grinsen wurde regelrecht selbstzufrieden, als sie hörte, wie Blake damit begann, sich durch die Kleider zu wühlen und etwas herauszusuchen, dass nicht nur ihrem Traum, sondern auch dessen entsprach, in waser sie sehen wollte – nur er.
Hätte ihre Großmutter noch eine Bedeutung in ihrem Leben, wusste Sam, hätte sie ihre Gedanken und längst verblassten Worte im Hinterkopf auflachen hören, bitter und trostlos, wie sie Sam als schwach und abhängig verdammte, doch da es diese Stimme nicht mehr gab und auch gar nicht mehr geben durfte, war alles, war bei Sam blieb, Freude darüber, diesen Moment mit Blake für die Ewigkeit kreieren zu dürfen.
Und besonders würde es, schloss sie, als sie ihren schwarzen BH an einen Haken baumeln ließ und sich in einer entspannten, aber entschlossenen Geste die Finger durch ihr dunkelbraunes Haar gleiten ließ. Ein bisschen Spaß, das musste sein, das musste es immer, aber abenteuerlich… Sams Augen hafteten sich abwartend auf den dichten Samt des Vorhanges, als könnte sie Blake damit heraufbeschwören. Abenteuerlichkeit musste man manchmal nicht einfach nur suchen, sondern auch einfangen, indem man kleine, so wichtige Fallen auslegte. Sam hatte viel Spaß an derlei Spielereien entwickelt. Und als Blakes Schritte sich näherte und sie seine feingliedrigen, eleganten Finger sah, wie sie sich um den Umhang legten und diesen beiseiteschoben, sah sie ihm mit einfangendem Blick entgegen, funkelnd und bereit – und zog ihn mit einem innigen und stürmischen Kuss in eine Umarmung, die ihn in die Umkleide hereinzog.
Sam verdammte damit das Kleid, kurz, prächtig und enganliegend, der Nichtigkeit, denn jetzt gab es erst etwas anderes, das sie brauchte und wollte und Sam nahm es sich, als sie seine Gürtelschnalle öffnete und ihre Hand in seine Hose fahren ließ und in den Kuss hineinlächelte, als es ihm misslang, ein Stöhnen zu unterdrücken.


*



„Battle of the Bands“, die Worte schmolzen auf Blakes Lippen dahin und die Art, wie er es betonte und mit was für einer genüsslich geschmeidigen Geste seiner Hände er sie begleitete, war Anlass genug. Sam richtete sich abrupt an seiner Seite auf und die Geräuschkulisse, die schon seit einigen Minuten ringsherum um sie zugenommen hatte, rückte in den dumpfen, wattierten Hintergrund mitsamt dem restlichen Treiben des Pubs, dass in die Geschäftigkeit eines Freitagabends gehüllt war.
„Was?“ Sam blickte ihn von der Seite an und musterte das Seitenprofil des schmalen aber markanten Schwungs seines Kiefers und ihre Augen flatterten zu seinem Mund, der sich vor noch nicht allzu langer Zeit mit einem ähnlichen Genuss zwischen ihren Schenkeln vergraben hatte. Aber das wissende Lächeln darauf war aussagekräftig genug und die Art, wie Levi sein Pint auf den Tisch knallte und Blake mit einem „Is‘ nicht dein Ernst?!“ anstarrte, bezeugte Sam, nicht verrückt geworden zu sein. Dass sie sich nicht verhört hatte. Dass das, was Blake ihnen an Neuigkeiten übermitteln wollte, nicht eine kleine Nebensächlichkeit war.
„Kein Wunder, dass du feiern gehen wolltest“, murmelte Bradley über den Rand seines eigenen Glases, aber Sam sah das Lächeln seiner Lippen und das Glitzern, das es über seine Augen legte.
„Also –was?!“, Sam rutschte nun ein stückweit von ihm weg, um sich ihm besser zuneigen zu können und als Blake bemerkte, dass sie ihn so direkt und unvermittelt ins Visier nahm, tat er es ihr in beinahe spiegelnder Synchronisation gleich. Er ärgerte sie. Das Grinsen, das seine Lippen noch nicht erreichte, aber den Rest seiner Züge längst erklommen hatte, war etwas, dass sie ihm empört weggewischt hätte, könnte sie es nur. „Das hast du mir die ganze Zeit verheimlicht?“, ein Wechselspiel an aufkeimender Freude und Fassungslosigkeit war klar in ihren Zügen zu lesen, das wusste Sam, sie machte schließlich auch selten einen Hehl daraus. Blakes Augen funkelten in Bestätigung. Dann aber entwuchs ihren Lippen ein Schmunzeln - dann ein Auflachen.
„Battle of the Bands?! Ist das dein Ernst? Wie das?“, sie sah zu Levi, der dabei war, der Bedienung eine neue Bestellung zu bedeuten und nickte in Sams Richtung. „Kein Scheiß, Blake, das will ich jetzt auch wissen. Aber erst eine Runde-„
„Delaney, wehe du bestellst Schnaps.“
„Führ dich nicht immer wie die verdammte Mutter Oberin auf, Brad. Battle of the Bands, alter“, er schnippte mit seinen Fingern in seine Richtung und deutlich in das Sichtfeld seines Gesichts, „Du kannst vom Glück reden, wenn ich mich nicht gleich direkt unter den Spender lege und nackt auf der Theke bauchtanze.“
Sam musste auflachen, nicht nur, weil Bradley grinsend ein leises „Du hast vielleicht ‚ne Macke“ von sich gab, sondern auch, weil sie es zu deutlich vor sich sah. Sam hatte mittlerweile genügend Feiern miterlebt um zu wissen, dass Alkohol Levi durchaus entfesseln konnte – und das er nicht zu bändigen war, war sein eigenes Euphorielevel erstmal durch die Decke gepeitscht. Durch sich selbst oder durch andere war dabei vollkommen gleich.
„Ich bin mit unseren Tapes zum Veranstalter gegangen“, begann dann Blake, der sich den Blicken, die nun in gebündelter Neugierde auf ihm lagen, nicht mehr länger erwehren wollte. Er kramte nach einer Zigarette und reichte die Schachtel in die Runde und ein jeder von ihnen nahm das dargebotene Angebot der Glimmstängel an. Blake entzündete den Tabak und blies den Rauch schwadig und schwer zu seiner Linken und schob das Feuerzeug in die Mitte des Tisches. Sam grapschte danach, noch ehe Levi es erwischte und streckte ihm in einem Anflug kindlichen Triumphes kurz die Zunge entgegen, der die Geste mit einem obszönen Mittelfinger erwiderte, dann aber Bradley grinsend die Streichhölzer entwendete – Bradley hingegen hatte nur Augen für Blake und er erdete die Situation mit seiner Ruhe deutlich. Sam, die den Alkohol bereits in ihren Blutbahnen verspürte, nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und schlang ihre Beine kurzerhand über Blakes Schoß und lehnte ihren Oberkörper gegen die Polsterung der Sitzbank. Blake zwinkerte ihr zu und ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Bradley schenkte, legte er eine Hand auf ihren Oberschenkel ab und umfasste diese sanft. Sam tastete nach dem Griff seiner Hand, malte dann allerdings lieber mit den Fingerspitzen seine Tätowierung am Handgelenk nach, die sich Blake erst vor ein paar Wochen hatte stechen lassen.
„Der Gig ist bekannt und ich weiß, dass es kein öffentliches Bewerbungsszenario in dem Sinne gibt. Sie melden sich für gewöhnlich bei den Bands, die sie gerne dabei hätten und klären dann das Line-Up“, erklärte Blake und Sam wusste, dass er es für sie tat, denn egal, wie deutlich sich Sam in die Szene geworfen hatte, gewisse Gepflogenheiten waren ihr bei weitem noch nicht geläufig. In stummer Bestätigung nickte sie dann, ganz gleich, dass er sie nicht direkt angesprochen hatte, „Ich kenne den Veranstalter schon seit einer Weile und ich hatte das Ding immer auf dem Radar. Ich dachte mir, es könnte nicht schaden-„
„Er dachte, es könnte nicht schaden!“, polterte Levi begeistert dazwischen und sein Auflachen zerging in einem zufriedenen Glucksen. Die Bedienung unterbrach seinen Ausbruch und Levi bestellte mit alles vernichtender Aussagekraft acht Schnäpse und quittierte den kurzen Seitenblick Bradleys nur mit einem versöhnlichen Klopfen auf dessen Schulter.
„Battle of the Bands ist pures musikalisches Kräftemessen“, sagte Brad nachdenklich. „Das wird auf alle Fälle hart.“
Blake nickte in stummer Bestätigung und Sam vermutete, dass sie die einzige am Tisch war, der solch ein Event noch fremd war, aber der ruhige, professionelle Ernst der beiden entfesselte ein nervöses Prickeln unter ihrer Haut der positivisten Art und Weise.
„Er hatte uns nicht auf dem Radar. Hat zwar gehört, dass ich ein neues Engagement habe, aber noch nicht mitbekommen, wohin die Reise ging. Er ist generell dagegen, Newbies eine Chance zu geben, wenn sie sich nicht schon ihre erste Festivalsaison erspielt haben, aber er hat die Demos gehört und er war begeistert. Vor allem von Sam.“
Sams Herz machte einen nicht allzu kleinen Hüpfer, als Blake das sagte, aber sie versuchte, es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen. Levi musste es aber dennoch gemerkt haben, denn als die Schnäpse den Weg zu ihnen fanden, prostete er ihr im stummen Verständnis zu und Sam war ihm dankbar dafür, keine große Sache daraus zu machen.
„Logan nimmt auch daran teil“, gab Bradley zu bedenken und aus dem Seitenblick zu Sam machte er keinen Hehl. Sam aber überraschte diese Information nicht, denn sie hatte gelernt, mit dem Engagement Logans allgegenwärtig zu rechnen und als ein Mann, der seine Chancen wahrnahm und darauf bedacht war, seine Band an die Grenzen der Möglichkeiten zu pushen nur um diese dann erneut zu erweitern, wäre sie enttäuscht gewesen, ihn nicht auf so einer Bühne zu sehen. Trotzdem knirschte sie mit den Zähnen und ließ es sich nicht nehmen, in einem Anflug von Missfallen ihre rotlackierten Fingernägel zu betrachten und sich kurz aus der Situation herauszunehmen.
Levi war nicht ganz so galant. „Fucking Logan“, stöhnte er und zweifelsohne sprach da schon der Alkohol aus ihm, aber Sam war das relativ egal. Sie grinste über dem Filter der Zigarette zufrieden in sich hinein und entschied sich, das neckende, aber beruhigende Drücken Blakes Hand zu ignorieren. „Okay, aber es wird doch sicher auch andere weibliche Vokals dort, dieses Jahr?“, gestikulierte er fahrig und inhalierte einen tiefen Zug. „Oder?“, er gestikulierte zu Blake und Bradley. Sam die nun auch ihren Blick anhob, mit dieser Messerschärfe, die sich immer in ihr bemerkbar machte, wenn Ego und Ehrgeiz sich in einem blasenden Feuerwerk vermengten, sah den Blickaustausch der beiden Männer; sah, wie Bradley sich zurücklehnte und Blake das Feld räumte. Aber er musste es nicht aussprechen. Sam übernahm es für ihn.
„Wir sind der einzige weibliche Gesang, richtig?“
Blake zögerte in seiner Bestätigung nicht und Sam blies etwas ermattet schwach den Rauch von den Lippen, richtete sich dann aber auf, um in den Aschenbecher zu aschen. Sie verharrte kurz in dieser Position. Dann stützte Sam sich mit ihren Ellbogen auf der abgenutzten Tischmaserung ab und bettete das Kinn in eine Hand. „Das ist gut, oder nicht?“, gab sie dann ruhig zu bedenken und zog sich ihren ersten Schnaps heran, den sie mit zögerlichen Fingern umfasste. Sie suchte den Blick der Runde.
„Durchaus“, stimmte Bradley zu, der den ersten Schnaps kippte, unabhängig davon, was er vorhin noch gesagt hatte – und Levi bekam ebenso wie sie höchst selbstzufrieden mit, das Bradley die klarkristallene Flüssigkeit in einem geübten Schluck hinunterkippte. Levis Miene schrie regelrecht Geht doch! und deswegen ließ Sam sich diesen dezenten Tritt gegen sein Schienbein nicht nehmen.
„Du hast eine Chance, auch in der direkten Konkurrenz, Sam, das Argument steht schon länger im Raum.“
Sam nickte, entschied sich aber dazu, nicht gleich zu antworten und wollte die Worte erst sacken lassen. Abermals nickte sie, als wäre sie im stillen Takt ihrer eigenen Gedanken gefangen und begann, kurz mit der Zigarette zwischen ihren Fingern zu spielen. „Okay, dann lasst uns das tun“, entschied sie und sah in die Runde. „Wenn ihr wollt, bin ich dabei“, sie lächelte.
„Dein Ernst?“, Levi griff nach seinem Pint und das Braun seiner Augen bohrte sich in das ihre. „Und wie ich das will. Fuck yes. Ich würde den Arsch eines jeden einzelnen von euch auf diese Bühne schleppen, wenn ihr vorhättet, mir diese Chance zu vergeigen. Battle of the Baaands, man!“
Blake lachte leise. „Ich denke nicht, dass wir anfangs gegen sie antreten müssen, das würde die Wirkung zerschießen. Wir können davon ausgehen, dass wir uns im gegnerischen Team hochspielen müssen und ihnen dann in den Endrunden gegenüberstehen.“
„Und dann wird es hart“, ergänzte Bradley. „Es ist nicht ihr erstes Battle und ich weiß, wie sie sich auf solche Gigs vorbereiten.“
„Wir brauchen eigenes Zeug“, schloss Blake im Anschluss auf Bradleys Einwurf, „ansonsten haben wir keine Chance. Wenn wir dir aber haben…“, Blake zuckte entspannt mit den Schultern, „ist es eine Stil- und eine Geschmacksfrage für das Publikum. Nicht des Könnens.“
„Aber wie viele Lieder haben wir momentan? Vier? Das ist doch zu wenig“, murmelte Sam, die mit den Fingern gegen die Haut ihrer Wange zu trommeln begann. „Das geht nicht. Wir brauchen mehr.“
„Mindestens sieben mehr“, sagte Bradley, der den Drill, den Ablauf und die Anforderungen zu wissen schien.
Sams Blick wanderte wieder zu Blake, der in Zustimmung nickte, aber stumm blieb.
„Wieviel Zeit haben wir?“, hakte sie nach.
Blakes Lippen brachen sich in ein herausforderndes Lächeln und jetzt neigte er seinen Kopf, um sie unverwandt anzusehen. „Zwei Wochen.“
„Ach Scheiße“, fluchte Levi, aber es war nicht der negativen Art; Levi war niemand, der anhand solcher Ankündigungen das Handtuch schmiss, sondern begann, nach Taktiken zu suchen, wie man einem möglichst positivem Endergebnis erwirken konnte. „Das schaffen wir doch. Oder? Sagt mir, dass ihr es schafft. Dann schaffen wir den Rest, richtig?“, er stupste Bradley mit dem Ellbogen an und dieser nickte aus vollster Überzeugung.
„Ich weiß nicht. Schaffen wir das?“
Sam wusste, dass Blakes Frage mehr war, als nur das. Womöglich war es gar keine, schloss sie, als sie den Ausdruck in seinem Gesicht sah, beobachtete, wie das Blau sie in einem Abwarten einfing, dass genauso konfrontativ war, wie es Freiraum gab. Sie beiden waren es, die die Songs schrieben; gemeinsam, in der Abgeschiedenheit seines Apartments in Lytham, weit weg von der Welt Blackpools, oftmals auch weit weg von Levi und Bradley. Sie wollten es so; besprochen hatten sie sich schon oft. Es war nicht so, dass sie sie ausschlossen, oder das aktiv wollten, aber Sam und Blake hatten nicht nur ihre eigene Magie, sondern entfalteten sich in ihrem eigenen Universum und es gehörte nur ihnen, ihnen ganz alleine. Dominiert von dem Band, dass sich seit dem Abend des einen Auftritts verheerend zwischen ihnen geknüpft hatte, war es eine eigene Sprache, die sie sprachen, nicht nur in ihrem Beisammensein, nicht nur im Körperlichen sondern auch, wenn sich ihre Geister einanderzuneigten und zusammen musizierten – und daraus mit einer Macht kreierten, welche die Dynamiken der Band und die Richtung ihrer Musik deutlich vorgab. Sam ließ sich leiten von Blake, von seinem Können und seinem Wissen, was es war, das er tun musste, um diesen Hebel in ihrem Kopf umzulegen und Blake ließ sich von dem intuitiven Fluss ihrer Stimme und den Themen mitreißen. Sam wusste, dass sie es schafften, wenn sie es taten.
Aber das, was sie waren, füreinander, das hatten sie nicht in Worte gefasst und sie hatten es auch nicht klar definiert. Blake stieß die Unterhaltung darüber nicht an und Sam tat es nicht, weil sie es nicht wollte; weil sie sich unbeholfen fühlte und Angst hatte, das, was sie hatten, mit einem klaren Ausdruck zu bezwängen. Es lag kein Zweifel daran, was sie für Blake war und es gab auch keinen Zweifel daran, was er für sie war; was für Emotionen er lostrat und für sich beanspruchte und Sam wusste, dass auch Bradley und Levi das für sich angenommen hatten. Sam hatte keine Ahnung, wie derlei Dinge funktionierten, aber sie wollte auch nicht mit Levi oder Bradley darüber reden. Das Sehnen, an seiner Seite sein und bleiben zu wollen, war etwas, das reichen musste; dass sie hier saßen, vertraut und mit ungeteilter Aufmerksamkeit, etwas, das offiziell genug sein musste.
Trotzdem lächelte Sam, wegen seiner Worte, seinem Blick und den Gedanken an ihn; sich hier zu zieren, wenn man bedachte, was er mit ihr angestellt hatte, in dieser Umkleide, bevor sie diesen roten Traum eines Kleides gekauft haben, schien fast schon unschuldig und unangebracht.
„Natürlich schaffen wir das“, schloss Sam und jetzt grinste sie, zufrieden und angestachelt und nahm Blakes Einladung die nächsten zwei Wochen bei ihm zu verbringen an, wissend, dass auch das offiziell genug war.
Sie zwinkerte fröhlich in die Runde, und nachdem sie die Gläser zu einem feierlichen Prosit erhoben hatten, ließ Sam sich wieder zurück sinken – dieses Mal an Blakes Schulter. Und dem Blick dieser Rothaarigen, die Blake schon eine Weile mit unverhohlenem Interesse von ein paar Tischen entfernt begaffte, entgegnete sie mit einem katzenhaften Blick, gleichermaßen messerscharf konfrontierend und einladend.
Sam mochte zwar befangen sein, aber das bedeutete nicht, dass sie bereit war, Gegenspieler zuzulassen. Und als die Frau, attraktiv und jung, dennoch sicherlich älter als Sam, ihrem Blick nicht standhielt, wurde ich Lächeln kurz selbstzufrieden.
Ging doch.


*



„Baby, wo warst du mein Leben lang!“ Wildfremde Arme reißen sie in eine starke Umarmung, die Sam einen erstickten Laut der Überraschung entlocken, aber ihr blieb keine Zeit, zu größeren Protesten anzusetzen – Sam wurde längst an einen verschwitzten Körper gezogen, der sie durch die laue Sommernacht wirbelte und sie erst wieder absetzte, als es ein Lachen war, gurgelnd, sprudelnd und losgelöst, dass sich aus ihrer Kehle hervorpresste und die Atmosphäre des Hinterhofs einnahm.
„Das ist Declan“, stellte Blake leise lächelnd vor, als Sam mit zerzaustem Haar und recht atemlos wieder auf dem Boden abgestellt wurde und ihr war schwindelig, merkte sie und war dankbar, sich dazu entschieden zu haben, ihre schwarzen Boots zu dem roten Kleid angezogen zu haben, keine hohen Schuhe. „Schlagzeuger“, fügte Blake erklärend hinzu und Sam blickte nach oben in ein rundes Gesicht, in dem freundliche Augen blitzten und ein gewinnendes Lächeln hing.
„Hi“, brachte Sam atemlos hervor. „Also… hat es dir gefallen?“
„Gefallen?“, betonte Declan und lachte dann auf, bärig, tief und schallend, „ich habe es geliebt. Du hättest mal die Gesichter in der Menge sehen sollen“, Declan sah jetzt zu Blake, „Ihr habt da etliche Leute wirklich eiskalt erwischt. Hätte ich mir fast denken können, dass es eine größere Nummer ist, in die du dich verzogen hast, als du plötzlich weg warst. Ganz dein Stil.“
Sam, die sich die Lederjacke Blakes umgehängt hatte, kramte nach den Zigaretten in den Taschen und fand sie. Sie gesellte sich zu Blake und Declan, die es sich abseits des Gebäudes und des Hofes unter ein paar alten Linden gemütlich gemacht hatten. Was eigentlich meist nur von den Künstlern genutzt wurde, um zwischen Sets und in den größeren Pausen mal zu verschnaufen und durchzuatmen, war jetzt überströmt mit Leuten, die in dieser lauen Frühherbstnacht der Hitze und dem Schweißgeruch aufgeriebener Körper in dem inneren des Musikhauses geflohen waren. Sam schob sich den Filter zwischen Blutrot geschminkte Lippen und als im Hintergrund ein Zucken durch die Wolkendecke eilte und diese in einem gleißenden Licht brach, stieg Gemurmel über die Köpfe der Leute hinweg. Das Gewitter kam und wurde über das Meer in stetigen Windstößen zu ihnen herangeweht, ganz so, wie die Vorhersagen es für den heutigen Abend prophezeit hatten. Sam hatte gehofft, man würde sich irren, so, wie es in der Vergangenheit bereits des Öfteren vorgefallen war, aber als ein weiterer Blitz sich in seiner Myriade an gleißenden Ästen brach und das Meer in der Ferne als dunkle, fast bedrohliche Instanz erhellte, bestand kein Zweifel, dass das Unwetter sich über ihre Köpfe hinfortfegen würde.
„Keine Ahnung, wohin es mich als nächstes treibt, Mann“, sprach Declan gerade, der von dem Wetter ebenso unbeeindruckt blieb, wie auch Blake. „Ich wünschte, die Musik würde ein bisschen mehr auf die Platte bringen, als eine Minusrechnung am Ende des Monats. Dann wäre es einfacher.“ Blake, der sich an die Rinde des Baumes gelehnt hatte und ebenso rauchte, wie sie alle auch, hatte seinen Blick auf den Boden gehaftet; eine Geste, der in sich gekehrten Aufmerksamkeit und etwas, das nur einen abwesenden Eindruck hinterließ, aber doch Blakes äußerten Fokus auf das Gespräch ausdrückte. Er lachte auf, in dieser leisen Zustimmung zu wissen, was Declan meinte. „Wir sind einfach keine Schüler mehr. Und sich von Job zu Job entlangzuhangeln… Shit, wenn das so weiter geht, reißt Monica mir den Arsch auf und setzt mich vor die Tür.“
Blake lachte.
„Was macht Bradley eigentlich mittlerweile?“
„College“, antwortete Blake. „Jura“, betonte er und Declan zog die Augenbrauen hoch.
„Nicht dein Ernst?“
„Mein voller Ernst.“
„Scheiße, aber was überrascht es mich. Eigentlich tut es das nicht. Bradley hatte schon immer zu viel im Kopf, als sein Leben mit uns Nieten zu verbringen.“
Die Männer lachten beide, beide auf ihre Art zustimmend und Sam kam nicht umhin, sich zu fragen, wie lange die beiden Männer sich bereits kannten, weil sie so vertraut miteinander wirkten – sie aber seinen Namen aus Blakes Mund noch nie gehört hatte. Das passierte heute nicht zum allerersten Mal, dass sie sich so fühlte; so, als stünde sie immer noch auf einer anderen Stufe in seinem Leben und müsste den Aufnahmeritus erst noch vollbringen um ganz eingeweiht zu werden, in diese Welt, die barst vor Kreativen, allen voran Musikern und so vielen Bekanntschaften, dass jeder irgendwie seinen Namen zu kennen schien und das jeder aufsah, wenn er sich durch Körper und Gesichter schob.
Sam versuchte, sich das nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen; nahm lieber ein Schluck aus der Bierflasche, die sie Blakes Griff leicht entwendete und ließ den eigenen Schweiß auf ihrem Körper kühlen, der sich als Überbleibsel des Auftritts noch immer wie ein leichter Film über sie zog. Er war ihr nicht unangenehm, wusste Sam; ein Zeitzeuge von etwas Großartigem, das sich immer noch in Wellen der Überwältigung in ihr aufbaute und abflachte, aufbaute und abflachte. Sie hatten sich durchgesetzt und waren der Menge nicht nur mutig, sondern ohne jedwede Zurückhaltung gegenübergetreten. Sam, die nie zuvor vor so einer großen Menge aufgetreten war, hatte nicht über sie hinweggesehen, sondern ihre Blicke gesucht, und sie in dem Kontakt zu ihnen auf die Bühne gezogen; ihre braunen Augen mehr, als nur Kohlen, in denen Potenzial schlummerte und Funken sich zerschlagen und entzünden wollten. Sams Blick war ein Feuersturm gewesen und darin ein Versprechen und das hatte sie gehalten, in einer dynamischen Symbiose mit Blake, der für die Meute spielte, aber mehr für sie und Sam hatte damit gespielt, kraftvoll, ausgelassen und selbstbewusst, während Levi den Leuten einheizte, mit Spielereien, mit schierem Können und sich auf das taktgebende Drumset Bradleys stützte, der heute kraftvoller und energischer gespielt hatte, als alle anderen Drummer, dessen war sich Sam sicher.
Sam wusste nicht, ob sie gewinnen würden, aber Sam wusste, dass sie sich als Niemand, als eine Band, die sich aus der Versenkung erhoben und alle überrascht hatten, einen Namen über Nacht gemacht hatten – und dass das etwas war, das man ihnen erst nachmachen musste; dass das etwas war, das ihnen niemand, aber auch absolut gar niemand, in irgendeiner Form nehmen konnte.
Declans Blick schob sich wieder über ihren Körper und dabei war er nicht zurückhaltend; Sam spürte, dass er ihre Silhouette ebenso in sich aufnahm, wie ihr aussehen. Er hatte ene Freundin, hatte sie herausgehört, wusste aber, dass das nicht zwingend etwas zu heißen hatte, bei vielen Männern nicht, aber es folgte kein Annäherungsversuch – stattdessen sah Declan wieder zu Blake, abmessend beinahe, fast fragend… dann wieder zu Sam und als seine Lippen sich erneut öffneten, wusste sie, was es war, das er fragen würde.
„Leute, es geht weiter!“, pfiff eine Stimme von der Feuertreppe herab und zog die Aufmerksamkeit mühelos auf sich und obwohl Sam schwören könnte, es wäre Levi, erkannte sie nur einen Fremden der breit grinste, ehe er seinen hochgestachelten Iro wieder einzog und durch das Tür im Inneren verschwand.
„Showtime“, pfiff Declan und er schob seine Augenbrauen nach oben. „Ich bin gespannt, was sie auf Lager haben.“
„Das, was sie immer auf Lager haben“, ergänzte Blake und ein leichtes Grinsen erwärmte seine Züge, die Sam heute besonders wohlgesonnen, besonders entspannt und besonders zufrieden erschienen. Es war mit Levi ähnlich, hatte Sam festgestellt, aber in Levi schwelte nach wie vor der tobende Enthusiasmus über diese Sache, die einfach eine neue, so verdammt aufregende Welt war, und Sam ging es ähnlich. Bei Blake jedoch war es, als hätte er seine Maske des Alltags abgelegt und sich der Welt zugeneigt, in der er wirklich war und tatsächlich existierte und er verschmolz mit seiner Umgebung auf eine Art und Weise, die ihr wieder den Musiker vor Augen zog, wie er auf der Bühne gestanden hatte und durch seine bloße Anwesenheit Raunen lostrat; die Leute näher und immer näher an die Bühne heranzog, um ihn besser zu sehen, um ihn besser zu hören, um ihn besser zu erleben.
„Okay, Sam, bist du bereit für die Konkurrenz?“, Declan riss Sam aus ihren Gedanken, die drohten, in eine gefährliche Richtung abzudriften, und als Sam blinzelte, wusste sie nicht gleich, was sie sagen sollte. Aber als sie lächelte und dass in einer misslungen Grimasse endete, lachte Declan los.
„Scheiße, sie hasst Logan, oder?“
Blake nahm die Bierflasche Sams wieder an sich an und grinste verschmitzt, ehe er Sam ansah und ihr dann einen Arm um die Schulter legte. Er tat nicht so, als wisse er, was in ihr loswar, er wusste es ganz genau. Sam hatte sich gebessert, ganz so, wie sie es ihm versprochen hatte, aber sie machte kein Hehl daraus, dass es ihr nicht immer leichtfiel.
„Baby“, begann Declan, der sich an Sams Seite schmiegte, als sie sich begannen, in den Sog der Menge zu schieben um zurück in das Innere zu gelangen, „du hast vor dem Kerl nichts zu befürchten. Lass ihn einfach-„
„- ein arrogantes Arschloch sein?“, schlug sie unschuldig vor.
„Aye. Genau das“, grinste Declan. „Ich sehe schon, sie hat ihn voll durchschaut, oder? Gutes Mädchen“, er grinste über Sams Kopf hinweg zu Blake, der leise auflachte, aber nichts sagte. Und selbst wenn er es gewollt hätte – der schmetternde Applaus hätte alles in seinem Weg verschluckt, hätte er es nur gewollt. Anfeuernde Rufe drangen aus der Türe heraus zu dem Treppenaufgang und als sie sich durch den Rahmen schoben und in das abgedunkelte Innere traten, stob ihnen heiße Luft und eine Atmosphäre der Aufregung entgegen. Obwohl geschoben und gerempelt wurde, störte sich niemand daran, die Menschen arrangierten und platzierten sich mit dem Blick, der fieberhaft auf die Bühne gerichtet war und Sam, die kleiner war, als die beiden Männer und nicht gleich den Blick hatte, musste warten, bis sie einen kleinen Lichtfleck zwischen den Menschen erhaschte, um zu sehen, was es war, dass sie bannte.
Aber als Sam es sah, lag dahinter keine Überraschung.
Es war Alexis.
Sie trug einen kurzgeschnittenen Hosenanzug der die Sicht auf ihr ausladendes Dekolletee freigab, aber was an anderen Frauen in dieser Pracht silberweißglänzender Pailletten billig und anbiedernd ausgesehen hätte, vermachte Alexis den Ausdruck eines Freigeists, der durch nichts zu bändigen war. Ihre lockigen Haare wallten und sprangen wild über ihre Schultern bis zu den Ellbogen herab, silberne, dutzende Armreifen zierten ihre tiefgebräunte Haut und Sam sah, dass sie barfuß war. Sie sah hinreißend aus, aber sie war nicht der Engel, den Sam vermutet hätte; sie war nicht die Unschuldige, nicht diejenige, die sich in den Vordergrund rücken lassen muss. Sam erkannte es hier, als Alexis sich an das Mikro positionierte und erst ihre Bandmitglieder mit wissenden Seitenblicken bedachte und Blicke, Gesten und Reaktionen erntete, die eine komplett miteinander verschmolzenes Schauspiel war, das Macht besaß und reinste Macht war. Als Alexis dann die Arme hob und sich der Menge stellte, strahlte sie, nicht nur in dem Lächeln, dass ihre weißen Zähne zeigte und ihre Mimik so viel Sympathie und Freude verströmen ließ – sie selbst strahlte auch, mehr als Symbol, als als Figur, als Sängerin selbst.
Sam hatte es sich verboten, ihre Auftritte zu verfolgen, weil sie unvoreingenommen in das Gehen wollte, was kommen würde, aber Sam wusste, noch bevor die ersten Klänge der Gitarre ertönten, noch bevor Alexis Lieder später in einem leidenschaftlichen Akt vor Logan auf die bloßen Knie rutschen und sich rhythmisch zu seinem Bass bewegen würde, die Augen geschlossen, ihr Gesicht ein einziges Minenfeld der Ekstase, dass sie verloren hatten.
Sam wusste es deshalb, weil sie sich diesen Seitenblick erlaubte, vor dem es sie schon länger ängstigte, aber Sam tat es dieses Mal, weil sie es tun musste und genau diese Gewissheit brauchte, und als sie Blakes Seitenprofil sah; betrachtete, wie er lächelte, so zugeneigt, so angetan und seine Hände dann auch in dem begrüßenden Klatschen erhob, war es, als könnte sie seine Gedanken hören. Wie er ihren Auftritt, ihre Präsenz abmaß, aber auch, wie er ihr das, was hier geschah gönnte; wie er ihr, der Leadsängerin ihrer allergrößten Konkurrenz, diesen Raum zugestand und das, was sie zu kreieren bereit war, das, was sie über diese Menge bringen würden, nicht nur annahm, sondern ebenso absorbieren wollte, wie all die anderen, die sie umgaben.
Neben ihr pfiff Declan laut, doch als Alexis ihren Auftritt mit einem geschnurrtem „Lytham, ich weiß, ihr habt lange gewartet“, begrüßte, wurde ihre Welt wieder stiller. Alexis lächelte und zwinkerte. „Aber jetzt sind wir hier. Und es gibt nur noch eine Frage. Eine einzige. Und nur die bedeutet heute Abend noch etwas…“, wieder sah sie zu ihrer Band, wieder blickte sie zu ihnen, blickte einem jeden einzelnen ins Gesicht und umfasste die Menge doch im Gesamten. Selbst Sam fühlte sich angesprochen, regelrecht reingezogen in ihre Aura und die Worte, als hätte man diese Sam persönlich ins Ohr geflüstert und ihre Augen verdunkelten sich in diesem dichten Nebel der Gedanken, die sie nicht mehr länger von sich fortschieben konnten.
„… seid ihr bereit für uns? Das hoffe ich nämlich. Wir haben nämlich vor dieses verdammte Ding zu gewinnen!“
Es war kein Applaus der aufkeimte und sich durch die Reihen schob, wie ein grollender Donner. Es waren Rufe. Begeisterungsschreie. Und dann hatte Alexis sie ganz unter Kontrolle.
Sams Ohren wurden taub, für das, was kam und alles, was ihre Welt in dem Moment bestimmte, als die Lichtershow losflatterte und ein bereits bekanntes Lied unter Körpern, die ab Takt Eins auszurasten und mitzuspringen begannen, alles loskettete, was sie noch in sich verspürten, war eine Frage.
Und sie war Sam wichtig. So wichtig. Was war es also, dass sie verband, Alexis und Blake? Was sie tatsächlich verband? Dass, was ihr niemand sagen wollte?
Und es tat sich eine weitere auf, die schmerzte und ihren Rückzug aus der Menge bedeutete, aber genauso gestellt werden musste. Nämlich die, ob sie den Mann an ihrer Seite tatsächlich kannte.
Ob sie ihn überhaupt kennen konnte. Oder ob die Welt zu sehr zwischen ihnen stand, um je komplette Wahrheit zwischen ihnen zuzulassen.


*


Sam konnte sie durch die Badezimmertüre hindurch hören. Sie versuchte schon seit geraumer Zeit das Gespräch, das nur unweit von ihr am Ende des schmalen Gangs erklang, zu ignorieren, aber selbst, wenn sie es gewollt hätte – Sam konnte es nicht. Es war die glockenhelle Wärme Alexis, die sich mit der dunklen, alles verströmenden Ruhe Blakes paarte und das leise Lachen, in das sie so oft erneut fielen, eine anschmiegsame Einheit, die einen schmerzhaften Keil in ihre Brust trieb. Wegzuhören, zu ignorieren wurde in diesem Augenblick etwas, zu dem Sam sich nicht in der Lage sah. Leere war es, die sie erfüllte. Dieser dunkle Unwille düsterer Gedanken, dem sie sich nicht erwehren konnte und fatal in ihr vibrierte und sie all jener Sachen und Gedanken gewahr werden ließ, die Sam sich doch konsequent verboten hatte. Bisher.
„Ich freue mich für dich, weißt du? Das wollte ich dir noch sagen.“
„Wofür?“
„Komm schon“, ein leises Necken und ein von Blake darauffolgendes Lachen, leise und rau, offenbarte eine Intimität, die Sam die Härchen auf ihren freigelegten Unterarmen aufstellte. Sam senkte den Kopf und betrachtete den Joint zwischen ihren Händen, als könnte ihr das prall gewickelte Papier einen Aufschluss darüber geben, was es war, dass sie jetzt fühlen sollte. Doch die Warmherzigkeit des Geräuschs trieb sie nur dazu, den Filter erneut an die Lippen zu setzen und einen heißen Zug zu inhalieren, in der Hoffnung, die volle Fatalität der Wirkung würde sich bald in schleiernden Schlieren über ihren Geist und ihre Seele legen und ihr stumpfes Desinteresse bringen, anstelle kaum zu bändigende Euphorie.
„Du bist glücklich. So glücklich, dass ich dir ja gerne schon die Hochzeitsglocken prophezeien würde, aber dann bin ich mir wiederum auch nicht so sicher, was es ist, das da zwischen euch ist, hmn?“ Sie klang so nett, wie Sam, die mit ihr höchstens Kopfnicken austauschte, wenn sie nicht ganz versuchte, abseits ihres Radars zu existieren, noch nie gehört oder erlebt hatte.
„Seit wann?“, fragte sie dann aber und Sam war es, als wisse sie dabei mehr, als womöglich Blake oder sie selbst – und Sam wusste nicht, was sie davon halten sollte; ob es ihr so egal sein würde, wie sie es sich vornahm, dass es das sollte.
„Ich denke, seit Anfang an.“
„Der Abend im Hole?“, sie lachte, „Also gibt es tatsächlich so etwas, wie Liebe auf den ersten Blick, mh? Ich bin offiziell neidisch, Blake Callahan.“
„Das ist kein utopischer Mist, weißt du. Das hat was mit Freiheit zu tun. Dem Willen, sich auf etwas einzulassen, wenn man im Gegenzug auch bereit ist, loszulassen“, er pausierte kurz. Dann: „Du weißt, was du tun müsstest.“ Alexis reagierte nicht gleich, aber als sie es tat, war ihre Stimme schwächer geworden und die Worte erschienen Sam nicht nur kraftlos, sondern resigniert. Die Frustration fehlte in jeder Intonation.
„Ach. Du weißt es doch… So einfach ist es nicht.“
„Nicht?“
„Nie. Nicht mit ihm. Nicht…“, sie stockte. Stolperte regelrecht. Noch eine Facette, die sich für Sam nie aufgetan hatte, „Nicht mit Logan.“
Die Stimmen verstummten und das Schweigen, das sich ausbreitete, gab auch der Leere die Möglichkeit, sich um Zentimeter in ihrer Seele hervorzudrängen. Sie hob ihren Kopf und sah sich im Spiegel an, der gegenüber der Toilette hing und versuchte, in Gedanken ihre eigenen Konturen nachzuzeichnen. Es gab Tage, an denen Sam sich nicht sicher war, was es war, das sie zu tun versuchte und wer da tatsächlich hinter den hohen Wangenknochen und den katzenhaften Augen steckte; welche Essenz sich hinter ihren dunklen Augen verbarg und was sie ihr miteilen wollte, wenn Sam sich die Mühe gab, die Alltäglichkeit und den Trott beiseite zu schieben, um wirklich zu sehen, wahrhaftig zu empfinden, nicht nur nach Prioritäten zu funktionieren. Und jetzt fragte sie es sich zum ersten Mal.
Ob sie nicht nur Blakes Liebe war, sondern er auch die ihrige.
Sie wusste, was sie für ihn empfand und sie wusste, dass sie beide darum herum tanzten, weil es einfacher war zu tanzen, als innezuhalten und miteinander zu reden. Aber die Angst, das zu verlieren, sobald man es definierte, blieb – und lähmte sie, auf dieser Scheißtoilette in Logans Scheißhaus, und ließ Sam sich weiter wegwünschen, als sie es ohnehin schon seit Stunden tat. Sie war Blake zuliebe mitgekommen um sich das anzusehen, was sie alle in ihren Kreisen nur als die Villa kannten, aber selten selbst tatsächlich gesehen hatten. Niemand wusste so recht, wie sich die häuslichen Verhältnisse Logans tatsächlich begaben und Sam gab zu, dass sie ihm niemals eine Fünf-Mann-WG in einem Stadthaus zugetraut hätte, dass zwar an allen Ecken und Enden typisch eng und auch etwas dunkler war, aber nicht mehr zu ihm hätte passen können, mit den alten Tapeten, den aufgehangenen Schallplatten und dem Studiovibe dicker Teppiche und bequemer aber scharfkantiger Möbel, mit seiner Mischung aus kreativer Entfaltung und fokussierter Geschäftigkeit.
Sams Kehle stockte kurz, als sie einen erneuten Zug nahm; zu viel Rauch in ihren Rachen sog und das Gefühl hatte, als entzündeten sich ihre Lungen um die Kapazitäten aufzubringen. Beinahe hätte sie gewürgt, doch es war ihr möglich, sich zu beherrschen und den Rauch in seinen dichten, blauen Schwaden möglichst kontrolliert zu entlassen. Aber als ihre Brust leer war und sie nur der süßlich bittere Geschmack des Haschisch heiß auf ihren Lippenstiftresten zurückließ, war Sams Kehle heißer und ihr Mund fühlte sich wund an. Sie aschte gerade in das Waschbecken ab, als ein Klopfen sie aus ihrem Alleinsein riss, aber statt zu antworten, zog sie einfach die Füße an und stellte sie auf dem Rand des Toilettendeckels ab. Sam bettete ihr Kinn auf den Knien und starrte weiter in ihr Spiegelbild, dass ihr heute der einzige Zugang zu ihren Gedanken und ihrer Seele sein wollte.
Es klopfte abermals.
„Nein“, widersprach Sam, die ganz genau wusste, wer da vor der Tür stand, lässig mit der Schulter an den Türrahmen gelehnt, den Kopf in die Richtung der Tür geneigt, um nicht nur abzuwarten sondern auch auf ihre Geräusche zu achten. „Ich komme gleich.“
„Lass mich rein“, forderte Blake sie sanft auf und Sam trat die Zeit weiter, indem sie nochmals an dem Joint zog. Sie legte den Kopf in den Nacken und versuchte sich an den Ringen, die Levi immer so kunstvoll in den Himmel hinausschickte, aber Sam hatte den richtigen Dreh noch nicht raus.
„Sam“, immer noch eine sanfte Bitte und Sam wusste, dass er nicht kleinbeigeben würde, bis sie ihn nicht reinließ, in diese kleine, erstaunlich gepflegte Gästetoilette am Ende des Gangs, indem das Treiben der Party sie nicht derart wuchtig erwischte. Sie seufzte, als sie kapitulierte, beugte sich aber nur nach vorne und drehte den Schlüssel um. Als Blake sich durch die Tür schob, zog er diese wieder hinter sich zu und schloss erneut ab. Ein Blick Sams reichte, um zu sehen, dass er bei deutlich klarerem Bewusstsein war, als sie selbst. Selten kam das nicht vor, Blake trank nicht oft derart ausschweifend, wie Levi das tat – aber wenn er es tat, dann auf den großen Feten, bis in ausufernde Morgenstunden, mit viel Gelächter und blödem Gelabere, bei dem jeder die Augen rollte, aber jeder doch nicht besser war und am Ende freudig mitlachte. Er wiederum sah auf den ersten Blick, wie es um sie stand – nicht, dass Sam sich damit verstecken wollte – und er lachte, als er ihr in die Augen sah. Sam neigte den Kopf leicht zur Seite und lächelte betreten, musste dann aber selbst leise lachen. „Komm schon, lass mich.“
„Ich suche dich schon seit einer halben Stunde. Aber eigentlich sollte es mich nicht überraschen, dass du dich verziehst, sobald du Logan den Joint geklaut hast.“
Sam grinste mit diebischem Frohsinn und versuchte gar nicht, das gehässige Glitzern aus ihren Augen zu vertreiben. „Das ist nur fair“, schloss sie. „Ich sitze auf dieser Party fest, also nehme ich mir alles, was nicht niet- und nagelfest ist und nutze es zu meiner eigenen Bespaßung.“
„Steckt deshalb der Dildo im Palmentopf?“
„… zumindest hat er in der Glasvitrine auch nichts verloren“, verteidigte sich Sam, aber sie grinste und fragte sich insgeheim, was Blake noch alles entdeckt hatte. Sam machte sich bereits seit Stunden einen heimlichen Spaß daraus, Kleinigkeiten umzustellen oder ganz offenkundig zu verstecken, einfach, um eventuelle Zerstreutheit bei dem Besitzern vermuten zu lassen. Das Blake sie dabei enttarnte und es bemerkte, wunderte sie nicht – sie machte schließlich auch gar kein Geheimnis daraus.
Aber Blake hakte nicht weiter. Stattdessen wurde sein Blick weicher, als er sich vor sie schob und lässig gegen die abgerundete Kante des Waschbeckens lehnte und auf sie herab sah.
„Besteht die Chance, dich heute Abend nochmals aus dieser Toilette zu kriegen?“
„Weiß nicht“, erwiderte Sam, die erneut am Joint zog, ehe sie ihn wortlos Blake überreichte. „Bisher fühle ich mich Recht wohl im blumigen Magnolienduft. Im Fenster hängt sogar ein Duftsäckchen“, andächtig deutete Sam auf die kleinen Säckchen, die wimpelartig den oberen Rahmen des Fensters zierten. „Ich wusste gar nicht, dass Logan so einen altweibischen Hang zum Dekor hat.“
„Du bist eine freche Göre“, grinste Blake jetzt und zog seinerseits an dem Joint. „Das ist das Werk des Haushälterin, nicht seines.“
„Er hat eine Haushälterin?“
„Sie alle leisten sich eine, einmal die Woche“, grinste Blake weiter und Sam kam nicht umhin, ein stummes „Wow“ zu formen, ehe sie loslachte.
„Komm mit mir raus“, bat Blake sie dann, die Stimme leiser, der Blick intensiver. „Sie bereiten gerade das Lagerfeuer vor.“
„Und dann holen sie die Gitarren hervor und schmettern Pfadfindersongs aus ihrer Jugend?“
„Vielleicht“, Blakes Lippen kräuselten sich in ein verführerisches Lächeln, doch Sam verzog ihre Lippen nur in einem kurzen Anflug des Schmollens, gab dann die Farce aber auf. Ihre Füße glitten von der Toilette und sie selbst lehnte sich nun vor und bettete ihre Stirn gegen den Hosenbund Blakes. „Ich möchte aber noch nicht“, murmelte sie dem Stoff entgegen und schlang ihre Arme um seine Hüfte.
„Bradley hat Bowle gemacht“, lockte er sie weiter, doch Sam brummte nur etwas Unverständliches und machte sich auch dann keine Mühe mehr, sich zu präzisieren.
„Mir wäre jetzt etwas anderes aber lieber“, sagte sie dann leiser. „Nur du und ich. Das wäre der perfekte Abend.“
Sams Hände waren an den Bund seiner Hose gewandert und machten sich neckisch an dem Stoff zu schaffen, indem sie verheißungsvoll daran zupfte – verspielt, aber mit einem eindeutigen Vorschlag, den sie nicht aussprechen musste. Von unten herauf sah sie ihn nun an, ehe sie mit ihrer Nase sachte das T-Shirt hochschob und seine freigelegte Haut küsste.
„Was zum Beispiel?“, hakte er nach, ebenso leiser, doch sie hörte, wie seine Stimme einen rauen Unterton bekam und sie spürte, anhand dessen, wie die Bauchmuskeln in einem sachten Tanz erzitterten, dass ihn das, was sie tat, nicht kaltließ – nicht kaltlassen konnte.
„Du könntest beispielsweise damit anfangen, mir den Rock hochzuschieben…“, ihre Lippen zogen eine langsame, neckende Spur, „… ich habe nämlich kein Höschen an, musst du wissen“, fuhr sie fort und als sie sanft an der Haut knabberte, entwich ein leiser, aber genussvoller Laut von den Lippen.
„Sam…“
„Und dann…“, fuhr sie fort und ihre Finger waren entschlossen genug, die Knopföffnung der Hose in einem einzigen Handgriff zu entzweien, „kannst du mich hier gegen die Duschwand drücken und von hinten nehmen“, Sams Augen, die andächtig auf seinem Körper geruht hatten, sahen wieder nach oben und es war Zufriedenheit, die sie durchströmte, als sie sah, wie fiebrig er ihren Augen entgegenkam. Sie lächelte, matt, aber verheißungsvoll. „Weil sanft ist nichts, das ich jetzt will. Ich will dich“, fuhr sie fort und nun schlossen ihre Hände sich um den Stoff seiner anliegenden Shorts, „und ich will, dass du mich um den Verstand fickst.“
Blake stöhnte, als sie begann, den Stoff, Milimeter für Milimeter über seine Hüfte zu ziehen und durch den Stoff einen Kuss auf sein Glied hauchte, das längst erhärtet war und sich durch den Stoff begierig ihrer Liebkosung entgegenreckte. Sie wusste, dass es ihr direkt auf die Lippen springen würde, hätte sie den letzten Rest lästigen Stoff nur entfernt, und bei dem Gedanken daran wurde ihr Mund für einen kurzen Moment trocken. „Ich will es hart“, wisperte sie weiter, „Dreckig. Das du meine Haare ziehst“, ihre Lippen zuckten in einem genüsslichen Lächeln, als sie ihn erneut küsste, „Tief und schneller. Immer schneller. Bis der einzige Gedanken nur noch du bist. Ich deinen Namen hinausschreie, ganz egal, dass mich ein ganzes Haus oder eine ganze Straße hört…“
Eine Hand fuhr ihr durch das Haar und Sam, deren Atem selbst schneller ging, so erregt war sie, an den Gedanken, was es war, dass er hier mit ihr tun könnte; was es war, das sie mit sich hier tun lassen wollte, sehnte es herbei, das kräftigere Zupacken – dass er sie auf ihre Beine zog und ihre Lippen in einen harten, rohen Kuss auf seine zog.
Doch dann ließ Blake von ihr ab und hielt ihre Handgelenke fest. „Nein“, hauchte er rau und Sam hörte, wie seine Brust bebte und vor Lust unkontrolliert auf und ab ging.
„Nein?“ Sam sah ihn fragend, ehrlich fragend und verwirrt, doch Blake, so lustvoll seine Züge auch von dem, was sie vorschlug, durchzogen war, behielt ihre Hände in diesem sanften, aber bestimmten Griff.
„Was ist los?“, flüsterte Sam.
„Du hast uns gehört“, flüsterte Sam zurück. „Und ich weiß, dass das hier“, er nickte ihr entgegen. „Ablenkung ist. Das ist es immer.“
Sam zischte in Ungnade und machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen, weil sie sich dahingehend auch gar nicht mehr unter Kontrolle hatte oder unter Kontrolle haben wollte. Stattdessen sank sie gegen seinen Körper und hielte er sie nicht fest, wären ihre Arme ebenso schwer hinuntergefallen. Bevor sich ihre Augen verschleiern konnten, schloss sie einfach ihre Lider und sog den Duft auf, den Blake verströmte und ließ sich davon einhüllen, als wäre das in dem Moment das einzige, das zählte. Das und der Grasgeruch, der die Luft verhing.
„Lass uns nicht darüber reden.“
„Worüber? Wir reden nie über irgendetwas.“
Sam blieb stumm, weil sie wusste, dass er Recht hatte – aber auch, weil sie nicht wollte, dass er hier und jetzt eben genau das hatte: Recht. Es wäre einfacher gewesen, dass, was er gesagt hatte und das, was zwischen ihnen gestand war, sexuell zu entladen, schlichtweg deshalb, weil ihre Körper gut so funktionierten. Nichts war mehr von Bedeutung, wenn sie ihre Körper miteinander sprechen und klären ließen; wenn sie sich fügten und miteinander verschmolzen, dass eine Einheit nicht mehr zur Debatte stand, sondern das Natürlichste der Welt war und blieb.
Aber jetzt…
„Wovor hast du Angst?“
Und da war sie, die Frage, die sie nicht beantworten konnte, weil sie es nicht wollte. Es würde eine Wunde aufreißen, die zu lange gebraucht hatte, um zu verheilen und Sam wollte den Prozess nicht sabotieren oder in irgendeiner Art und Weise auch nur im Entferntesten sabotieren.
„Sam, schau mich an“, wisperte Blake und als Sam der Aufforderung nicht gleich nachkam, setzte er ein sanftes „Bitte“ nach, das mehr Flehen als Erfragen war. Und sie wollte nicht, dass er dachte, sie ließe sich bitten; wollte nicht, dass er sich in etwas verlor, das nur wenig mit ihm zu tun hatte. Der einzige Fehler, den er hier beging, war die Tatsache, dass er ihr zu viel bedeutete. Schon so lange. Viel zu viel.
Als Sam seinen Blick erwiderte, erwiderte sie den Mann, wie er vor ihr stand. Immer noch erregt und darin immer noch so wundersam, beinahe fremd, als wäre es ein abstruses Konzept, dass jemand wie Blake, Blake, sie begehrte. Er trug schwarz auf schwarz auf schwarz, wie er es immer tat und sein Haar war dunkel und wirkte in dem Mangel an Licht noch dunkler und seine Augen kontrastierten darin wie der Polarstern an verhangenen Nächten, wie den einzigen Richtungsweiser, den man noch besaß. Er sah sie, das wusste sie. Und er bemühte sich nicht nur aus Spaß an der Freude. Sie war unfair und impulsiv und schwierig und dass es zu viele Tage gab, an denen er sich den Mist nicht antun wollte, hatte sie längst verspürt. Dass er es trotzdem tat, sagte etwas über seinen Charakter aus.
Aber wie könnte sie das, was sie fühlte, je annehmen?
Sie hatte Blake nicht verdient. Jetzt nicht und sie würde es auch in einem Leben nicht tun. Nie.
Und diese Gedanken zerrissen sie.
Ihre Seele schwoll in ihr an, als würde sie zersplittern, als er ihr ein „Ich liebe dich“, entgegenbrachte – zum allerersten Mal. Nicht lächelnd oder verspielt, nicht in einem euphorischen Glücksmoment, der solche Worte so einfach machte; Sam selbst hatte sich in den Nachwehen ihres körperlichen Kriegs und den letzten Schauern eines heftigen Orgasmus schon oft dazu verleitet gefühlt, es aber nie gesagt, weil es sich nie richtig angefühlt. hatte. Aber die Simplizität und die Bedeutung der Worte traf sie nun, wie ein Keulenschlag – weil sie wusste, dass sie wahr waren.
Weil sie wusste, dass es das war, das sie empfand.
Trotzdem blieb sie stumm und sie wusste nicht, woran das lag, an dem Schock, an dem Unerwarten, an ihrer eigenen unerfahrenen Unfähigkeit.
Blake zog sie auf die Beine und schlang seine Hände um ihre Hüfte, als sie stand; baute damit die Distanz ab, die zwischen ihnen lag und als sie ihre Hände auf seinem Brustkorb ablegte, spürte sie nicht nur seine Wärme, sondern sein Herz und sein wildes Pochen darin hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Sam haftete ihre Augen auf seine Lippen, ehe sie den Blick, nun näher und scheinbar so intensiver, in das Blau seiner Augen wagte, dass sie jedes Mal verräterisch schwächte.
„Ich möchte, dass du bei mir einziehst“, sagte er dann weiter und seine Augen bannten sie mit Vehemenz, seine Worte striffen sich mit roher Notwendigkeit. „Das tust du eigentlich ohnehin schon und wenn wir ehrlich sind, ist dieses Motel nur noch Fassade für Etwas, dass nicht mehr notwendig ist.“
Sam erstarrte unter seinen Worten und sie merkte, dass auch Blake es merkte, denn er suchte ihren Blick mehr denn je, als vermute er, sie könne sich jeden Augenblick losketten und ein wenig war das auch so.
„Ich liebe dich“, wiederholte er leise, betonend. „Und ich möchte dich bei mir haben.“ Ein Lächeln trat in seine Augen lange bevor es auch seine Lippen erreichte und Sam küsste ihn, sobald es seine Züge erwärmte und diesen Mann komplettierte, der ihr Leben derart auf den Kopf stellte, dass sie es sich ohne ihn nicht mehr vorstellen könnte. Ihre Körper zerschmolz regelrecht an seinem und so leidenschaftlich und wild ihr Kuss auch war, so voller Notwendigkeit, voller Bedürfnis brannte er und Blake erkannte, dass sie das jetzt mehr brauchte, als irgendetwas anderes. Ihre Hände verschwanden in seinem Haar, zogen gierige Linien über seinen Rücken, als könnte sie ihn immer näher und immer näher zu sich heranbringen; als könnte er nur dadurch ein Teil ihres Herzens und der Liebe, die sie für ihn barg, werden.
Blake verlor sich in dem Kuss, wie sie es tat und als er sie an die Wand drängte, schien es als die einzige Konsequenz die zu bleiben in der Situation jetzt noch übrig war, unter ihrem Keuchen und Stöhnen, das all das entfesselte, dass sie in sich behalten hatten, als letzte Form der Kontrolle – sie, wie auch er. Sam riss seine Hose hinunter und spürte, wie er ihrem empfindlichsten Punkt entgegenschlug und seufzte in Blakes Mund, der den Kuss brach, um ihren Rock hochzuraffen.
Als Blake in sie eindrang, stöhnte Sam laut und obwohl er es ohne Rücksicht tat, obwohl er es tief tat und in rhythmischer Härter, der sie sich ekstatisch und kopflos widmeten, fickten sie nicht roh und ungebändigt miteinander.
Sie liebten sich.
Vielleicht zum ersten Mal in vollem Bewusstsein.
Und als der Orgasmus ihren Körper erzitterten und Sam an den Rand einer Schwärze stieß, die neu für sie war, schlang sie ihre Arme fester um ihn, vergrub ihren Kopf an seiner Schulter und erzitterte mit seinem Namen als Flehen in ihrem Mund – und als Blake weitermachte, weiterstieß und sich selbst dem süßen Schmerz entgegentrieb und sie nochmals mit ihm Riss, öffnete das ihr Bewusstsein für eine komplett neue Welt.


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Mi 23. Aug 2017, 12:00 


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