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 Betreff des Beitrags: Kapitel 07
BeitragVerfasst: Di 14. Nov 2017, 11:37 
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Registriert: Di 30. Mai 2017, 08:06
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Ich habe dich selten in einer Nacht andächtiger erlebt, als in dieser; in der Nacht, in der wir wieder Schüler waren und nur du und ich – niemand sonst. Mit zu viel Zigarettenrauch in unseren Lungen, als es uns guttäte, dem unzähligsten Bier an unseren Lippen, lagen wir da, in meinem Bett mit den quietschenden Federn und ließen uns das Heulen des Sturms in das Mark unserer Knochen fahren.

Es war unser Wiegenlied, deines und meines; wir haben es verinnerlicht und auch noch heute weiß mein Körper um diese Wahrheit, sobald Stürme tosen und Wellen anrauschen, Gischt getürmt und gewaltig an Land gepeitscht.

Deine Augen glitzerten, als würden sie von hundert Scheinwerfern gleichzeitig beschienen, als wir uns anvertrauten und als ich Fragen stellte, die dir wahrscheinlich niemand je zuvor stellte. Diese Wünsche und diese Träume die du hegtest, waren mehr als das, auch mehr, als der letzte Anker, der dich in dem Leben hielt, das du doch so sehr wolltest.

Es waren Ziele.
So viele einzelne Ziele, die sich zu einem Pfad, einem Weg verknüpften, der eine einzige, absolut klare Richtung zeichnete.

Voraus.
Mit vollster Kraft.
Mit jedweder Ressource, die du dafür übrig hattest, in einem Bestreben des Furchens, immer tiefer und tiefer und tiefer und tiefer schlagend, bis an die essentielle Substanz des Seins.

Ich frage mich heute, ob es hier, in der Zukunft unserer Jugend, noch so Künstler gibt, wie du einer gewesen bist, Sam.
Sie sind selten.
Verbrennen meist zu früh.

Denn als ich fragte, was dein Endgame sein sollte; was es war, dass du zu erreichen versuchtest, weil ich dein Treiben nicht nur sah, sondern verstand, dieselbe Verwurzelung mit Musik und dem rastlosen Gedanken, es ausleben zu müssen, hatte, wie du, hast du nur gelächelt.

So wissend.
Fast schon so altklug.
Und sagtet, „Es gibt kein Endgame. Es gibt nur den Weg. Und irgendwann ist da der Tod und wenn ich zurücksehe, will ich, dass hinter mir eine Welt auftürmt. Kein schlechtgepflasterter Pfad an irgendeinem schnöden Ort an der Küste Fuckingenglands.“

Fuckingengland.

Wir lachten.
So sehr.
Ich tue es heute noch.

Und erstaune jedes Mal ob dieser Wahrheit, die in dir lag und ich frage mich, ob Blake das wusste.
Ob du Gespräche dieser Art je mit ihm führtest oder ob es immer ich war, dem du am Ende die hintersten Ecken jener Orte deiner Seele zeigtest, an denen du all diese Sachen untergebracht hattest und dich von ihnen antrieben ließest.

Ich weiß, wie gut es dir tat, mich zu haben.
Du hattest immer das Gefühl, als würdest du mich unterschätzen, nicht wertschätzen, nicht genug, wie ich es verdient hätte, aber Sam?

Du hast gereicht.
Immer.

Trotzdem frage ich mich oft, ob es das war, was Blake einsam machte.
Ob es mit reingespielt hat in das, was er getan hat.

Und ich frage mich, wieso ich nicht derjenige war, der solche Gespräche mit ihm führte.

Ich weiß, er hätte sie mit mir geführt.
Immer.
Wenn ich es nur angestoßen hätte, sanft und ruhig, in einem Moment der Zweisamkeit, wie ich sie auch mit ihm so oft hatte, weiß ich, dass er sich mir geöffnet hätte.

Ganz so, wie er sich auch Logan gegenüber geöffnet hatte.

Wir waren Freunde, Blake und ich.
Gute.
Enge.
Innige.

Trotzdem weiß ich auch, dass ich kein Logan war und keiner bin und dass auch du, Sam, keiner gewesen bist.
Nie.
Mit keiner Faser.
Nie für Blake.
Und das war vielleicht das Problem.

Du warst nicht mehr das, was Blake brauchte.

Ich war nicht das, was er brauchte.
Und vielleicht lag unser Fokus, meiner, aber vordergründig deiner, zu sehr bei dir selbst.

Ich weiß, dass du dir diese Frage nie gestellt hast. Irgendwann überkam sie dich mit der Sicherheit einer einfachen, aber zerstörerischen Erkenntnis und ich weiß, wie sehr es an dir nagte, weil ich auch sah, wie du darunter littest.

Du bist hart mit dir ins Gericht gegangen.
Außergewöhnlich hart.

Hey, Sam?
Ich möchte, dass du weißt, dass deine Träume nie weniger wert waren.

Nie.

Und das du ein Recht auf diese hattest.
Genau so, wie du es dir erhofftest, genau so, wie du es dir zu erarbeiten versuchtest.
Genau so, wie du danach strebtest, so unablässig, so verbissen, so mutig.

Aber Blake hatte dieses Recht auch.
Und vielleicht liegt darin die eigentliche Tragik.

Denn niemals wird je jemand dazu in der Lage sein, etwas daran zu ändern.
Nicht einmal dann, wenn ich dazu in der Lage wäre, die Zeit anzuhalten und sie zurückzudrehen, in diese Zeit, in dieses folgenschwere Jahr, das uns die Jugend nahm und das Erwachsensein mit asphaltierter Wucht, wie sie nur die Realität zustande bringt, in unsere Glieder warf und uns zerschmetterte.

Aber ändern kann man es nicht.
Man konnte es nie.
Weil Liebe manches Mal nicht ausreicht.

Und danach alles verloren ist.


*



Sam trat mit ihren Fußspitzen kleine Wunden in die Feinheit des weißen Kies und beobachtete mit fiebriger Entschlossenheit, wie kleine Wölkchen emporstoben und sich im zarten Licht des Frühlingstages zergingen.
„Und ihr seid sicher, dass niemand angerufen hat?“, fragte Sam nochmal explizit nach und blickte dann in die Runde der Jugendlichen, die sie mit jener Ehrfurcht bedachten, die Sam sonst nur in den Gesichtern ihres Publikums lesen konnte. Sie schüttelten vehement den Kopf und als Sam entnervt aufseufzte, tauschten sie unsichere Blicke miteinander, die Sam ihnen nicht verübeln konnte.
Aber erklären, was es mit ihrer Fragerei auf sich hatte, war keine Option. Zumindest nicht solange es nicht offiziell war. Und wann das wäre, war etwas, worauf sie die letzten Wochen fieberhaft wartete. Fie-ber-haft. Oder vielleicht war das auch das falsche Wort und schlichtweg nur eine einfache, fatale Untertreibung. Sam lebte für diesen Anruf. Und dass er einfach nicht kam, machte sie nicht nur schwach, sondern auch fahrig und sie hasste es, zu warten und noch mehr hasste sie es, Geduld aufbringen zu müssen, wenn es um ihre Musik ging.
„Es gab mehrere Anrufe für Logan, aber für dich, oder jetzt speziell Fury, leider nicht.“
Sam schoss der Blonden, die gesprochen hatte – Charlotte – einen scharfen Blick zu, doch diese begegnete ihren Augen mit der unbekümmerten Unschuld eines Neulings, der noch keine Zeit gehabt hatte, sich in das richtige Bild der vorherrschenden Dynamiken zu fuchsen und vielleicht war das ganz gut so. So, wie die kleine Bassistin aussah, könnte Logan vielleicht sonst auf die Idee kommen, ihr Nachhilfestunden zu geben, oder auf was für absurde, perversen Ideen dieses Ekelpaket sonst kommen würde. Sam schüttelte sich leicht und damit auch diese Gedanken von sich ab und steckte dann in einem vergebens ersuchten Erstreben der Entspannung die Hände in die Hosentaschen ihrer ausgebeulten Jeans und reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Sam schloss nur kurz die Augen und kniff sie dann zusammen. Es half nichts.
„Okay“, gab sie dann klein bei. „Trotzdem danke euch.“
„Nichts zu danken“, erwiderte ein rothaariger Junge, dessen Jeans ähnlich zerschlissen waren, wie ihre und der es sich nicht nehmen ließ, dann und wann mit Sam zu flirten, wenn ihre Wege sich kreuzten. Er amüsierte sie sehr, mit seiner verschlagenen Elvistolle und dem unverhohlenen Grinsen, das immer in einem Zwinkern endete – so auch jetzt. „Gern geschehen. Und Hey, cooler Auftritt gestern!“
„Danke, Cole“, zwinkerte Sam zurück und ließ sich beim Abwenden einen ausschweifenden Hüftschwung in das Innere des Jugendhauses nicht nehmen, leise lachend und wissend, dass seine Augen sie ebenso verfolgten, wie der Rest der Bande, die sich in einem kleinen aber hartumkämpften Contest mit anderen Jugendlichen-Bands einen Platz hier im Jugendhaus erspielt hatten – und seitdem im Mittelpunkt des Neides standen.
Sam mochte die kleinen Kröten, wie sie sie liebevoll bezeichnete und fand, dass ihre Sängerin ordentlich viel Kraft hinter sich hatte. In ein paar Jahren, das wusste sie, wären ernstzunehmende Konkurrenz. Jetzt aber sah sie in ihnen nur Kids, die zu ihnen allen voll Bewunderung aufsahen und begierig waren, zu lernen und deswegen auch so kooperationsbereit waren. Sie alle mochten sie. Allen voran Bradley. Sam lächelte still in sich hinein, bei dem Gedanken.
Es war Frühling geworden in Lytham, das merkte Sam, als sie sich in den Schatten des Inneren zurückzog und ein leichtes Frösteln ihre blanken Arme überkam, ganz so, als wolle eine höhere Macht sie erinnern, es nicht zu übertreiben; zu warten, bis die Wärme der Jahreszeit sich auch in die Nacht hervorwagte und auch wieder die Gebäude richtig aufwärmen konnte. Es war nicht viel los, an dem Nachmittag, aber als Sam die Gänge passierte um in den Musikbereich vorzudringen, merkte sie, das auch hier das Leben zurückgekehrt war. Der Besitzer hatte verschiedene Räume an die Stadt vermietet, in denen man verschiedene Kunstkurse wie Töpfern oder Aquarellmalerei belegen konnte und da es vordergründig Kinder und jüngere Jugendliche waren, die darin aufzugehen pflegten, war der Wind ein losgelösterer, ein wilderer und Sam genoss es mehr, als sie zugeben würde.
Lytham war anders im Winter und ebenso anders in dem Frühling, der nicht nur die Touristen, sondern auch das Leben und damit die Freude zurück zu ihnen brachte. Der Ausschweif der Frühlingsfeierlichkeiten war wie ein Startschuss, der die Stadt wieder von dem dichten Vorhang des Winters befreite und auch Sam hatte das Gefühl, dass die Menschen nicht nur freundlicher, besser gelaunter waren, sondern tatsächlich aufatmeten und in dem Stadtfest neue Energie für die anstehende Saison schöpfte. Die Atmosphäre, die sich über Lytham gelegt hatte, war schwer zu fassen und noch schwerer, in Worte zu formen, aber auch Sam merkte, wie sie dann und wann ihr Kinn ein wenig vorschob und ihren Kopf reckte; Frühlingsduft einatmete, die Sonne genoss und ein bisschen mehr Freiheit in der Atmosphäre ihrer Welt schmeckte, als zuvor.
Wenn da nicht dieser Telefonanruf wäre.
In einem kurzen Anflug geballter Ungeduld, schob sich das Bild von Ross vor ihr inneres Auge, wie er sie aufgehalten hatte, in der Zeltansammlung, die sie alle lachend Backstage genannt hatten und wo die verschiedenen Acts der Abende einkehren, sich verpflegen und ausruhen konnten. Es hatte ein wenig Schulfestflair, das Sam es deshalb also derart lieben würde, hätte sie tatsächlich nie gedacht. Aber sie hatte gestrahlt, schweißglänzend und außer Atem und ihn verwirrt angesehen, diesen Mann mit den Wasserstoffblonden Haaren und der breiten Sonnenbrille, deren hellbraune Gläser ein geschminktes Antlitz vor Sams Gesicht schoben. Er wäre Ross, aus London. Es wäre lange her, dass er das letzte Mal so eine kraftvolle, dynamische Frauenstimme gehört hätte – ob er sich mit ihr unterhalten dürfe?
Sam waren die Worte im Hals stecken geblieben und kurz hatte sie die blutrotgeschminkten Lippen gekräuselt, denn natürlich hatte sie die Gerüchte über Scouts aus London nie aus ihrem Kopf bekommen, aber andererseits hatte sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass Leute bereit waren, ihrer Verrücktheit ein wenig freien Lauf zu lassen, wenn sie mit ihr sprechen wollten – einfach, weil sie das Gefühl hatten, nicht mehr offen und normal abseits des Bandseins mit ihr sprechen zu können. Doch Ross tilgte alle Zweifel in der Bedeutungslosigkeit des Rauschens, das ihre Gedanken übermannte, als er ihr nicht nur die Hand reichte, sondern auch seine Visitenkarte um dort den Namen eines Labels zu lesen, dass ihr sehr wohl bekannt war, bekannter, als sie es zugeben würde. Und dann waren sie schnell ins Gespräch gekommen, plätschernd, auftürmend, übermannend.
Und seitdem wartete Sam auf diesen Anruf, den Ross ihr angekündigt hatte, in seiner glatten Stimme, dessen Intonation so geschmeidig war, dass man sich schnell, auch gerne mit ihm im Gespräch verlor. Jetzt keimte der Gedanke auf, dass das vielleicht Absicht, womöglich seine Masche war, aber ehe Sam den Gedanken fertig formen konnte, verwischte der vehemente Wunsch nach der untrüglichen Wahrheit seiner Worte sie wieder.
Als Sam die anderen im Aufenthaltsraum traf, waren sie bereits in Aufbruchstimmung.
„Und?“, fragte Levi mit hochgezogenen Augenbrauen und stemmte dabei seine Hände nicht weniger fordernd in seine Seiten, wie auch Sam soeben den Jugendlichen gegenübergetreten war. Doch Sam zog nur einen Schmollmund, der Levi Antwort genug war. Fahrig sackte die Hände ab und er machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich habe dir doch gesagt, der Typ meldet sich in hundert Jahren nicht.“
„Und ich habe dir gesagt, dass er echt interessiert war“, beteuerte Sam stur, die ihn nicht mal ansah, während sie mit ihm sprach. Seitdem sie der Band mitgeteilt hatte, was Backstage passiert war, zwischen all diesen Zelten, war Levi derjenige gewesen, der am negativsten damit umging und langsam ärgerte Sam sich darüber. Sie wusste nicht, woher diese Einstellung kam, aber sie hatte sie gehörig satt. „Du warst nicht dabei. Du hast ihn nicht gehört.“
„Naja und was hat er angeblich so tolles gesagt?“
„Das habe ich dir doch jetzt schon tausend Mal erzählt.“
„Dann erzähl es halt nochmal“, entgegnete Levi gereizt und als Sam ihn entnervt bedachte, machte ihr Freund keinen Hehl daraus, wie sehr dieses Thema ihn selbst anödete. Er grapschte grob nach seiner Jeansjacke, die erst vor ein paar Tagen mit ungewohnter Geduld mit verschiedenen Stoffstickern benäht hatte und stierte mit hervortretenden Kiefermuskeln seine Tasche nieder, als er den Jeansstoff dort hineinzuckte.
„Kannst du mir eigentlich mal sagen, was dein Problem ist?“, fuhr Sam ihn dann an, die schließlich nicht für ihre Zurückhaltung, weder für ihre Geduld im Umgang ihrer Mitmenschen bekannt war. Das alte Flanellhemd, dass sie Blake entwendet hatte, band sie sich grob um ihre Hüfte und stemmte nun ihrerseits die Arme in die Seite und sah dem Freund feindselig entgegen.
„Ich habe mich höllisch ins Zeug gelegt für uns, und alles, was du seitdem zustandebringst, ist die ganze Sache zu vermiesen und zu verdammen, und Oh, Sam, erzähl es mir nochmal und Oh, Sam, hör auf, Dinge zu interpretieren, die nicht da sind, Oh, Sam-„
„Genug jetzt“, ging Bradley stöhnend dazwischen, aber sie wäre nicht Sam, wenn sie das Thema damit beließe.
„Nein!“, widersprach sie gereizt, „Ich bin manchmal ein bisschen pushy, ich weiß das, aber hier? Ich brauch mich doch nicht blöd machen lassen. Nicht von ihm-„
Ein Seufzen tönte aus der Ecke des Sessels, in dem Blake sich niedergelassen hatte, um sich eine Schachtel Kippen vorzudrehen, aber jetzt war es Levi, der sich nicht zurückhielt, obwohl er immer derjenige war, der einsteckte, wenn der seltene Fall zutraf, dass sie miteinander aneckten. Sam und Levi stritten sich nie, aber wenn sie aneinander gerieten, zankten sie, wie ein altes Ehepaar, Blake betonte das immer mit spitzbübischen Amüsement, aber als Levi aufbrauste, fand Sam nichts amüsierendes daran. Am liebsten würde sie ihm einen kalten Lappen ins Gesicht werfen.
„Weil du es einfach nicht raffen willst, dass der Typ kein Interesse hast!“
„Aber woher willst du das denn wissen? Du warst nicht dabei!“
„Weil er noch nicht angerufen hat!“
„Seit wann bist du der große Szenenkenner? Hättest du ein Händchen für Agenten, hätten wir längst einen Deal!“
„Das hat doch damit nichts zu tun!“, Levi raufte sich die Haare, „Niemand hält einen wochenlang hin, wenn er wirklich Interesse hat, verstehst du? Niemand. Und wie lange wartest du jetzt schon auf diesen ominösen Wunderanruf?!“
Sams Lippen verengten sich zu einem schmalen Strich und in ihren Augen flammte Angriffslust auf, „Es dauert, einen Vertrag aufzusetzen und das mit den verschiedenen Leuten abzuklären, es die Anwälte checken zu lassen, und so weiter, da können schon mal mehrere Wochen draufgehen-„
„Und außerdem, seit wann bist du überhaupt der große Versteher des Business geworden?“, ging Levi auflachend dazwischen und tat ihre Worte mit einer Handbewegung ab, die sie ernstlich aggressiv aufschwelen ließen.
„Ich schwöre es dir, wenn du nicht gleich aufhörst, Levi, dann polier ich dir deine Scheißfresse!“, knurrte sie jetzt und ballte ihre Hände zu Fäusten.“
„Genug jetzt!“, mischte Bradley sich jetzt deutlich entschiedener ein und stellte sich zwischen die beiden, denn Sam hatte längst die Distanz zu Levi verringert und Himmel, sie schwor auf das Grab ihrer Großmutter, wenn er nicht aufhörte, sich zu benehmen wie ein kleines trotziges Kind, dann würde sie ihm die Ohrfeige seines Lebens verpassen und nichts davon bereuen, nie. Aber Levi blieb trotzdem fahrig, obwohl Sam nach einem drohenden Blickwechsel mit dem überdeutlich größeren Bradley kapitulierend die Arme sinken ließ und irgendetwas Unfreundliches murmelnd, die Wasserflasche annahm, die er ihr reichte.
„Sie weiß es noch nicht, oder?“, blickte er dann zu Bradley, der seine Lider senkte und dann wieder Sam bedachte, die nun, alarmiert von Levis Worten, die Augenbrauen hochzog. Sie würgte den großen Schluck Wasser hinunter und sah zwischen Levi und Bradley hin und her.
„Was weiß ich noch nicht?“, beharrte sie jetzt, doch Levis Blick flammte zu Blake, der es sich in der ausladenden Sitzecke im hintersten Ecken des Aufenthaltsraumes bequem gemacht hatte und sich komplett raushielt, wie er das immer tat, wenn Sam und Levi sich aneinander aufrieben. Blake war auf der Kante des Sessels weit nach vorne gerutscht und die Cap, die er trug, tunkte sein Gesicht in die schummrigen Schatten des fensterlosen Raums und obwohl seine Züge verrieten, dass er mitbekommen hatten, dass er angesprochen war, sah er nicht auf.
„Was ist?“, verlangte Sam nun zu wissen und trat näher an die Sitzgruppe heran, die Augen zwischen den Anwesenden hin und her flattern lassend.
„Der Agent wird nicht anrufen, weil Logan bereits ein Angebot gemacht hat. Er bespricht es derzeit mit der Band.“
Blakes Worte, ruhig und klar, trotzdem beinahe teilnahmslos, ließen Sams Gesichtszüge komplett entgleisen. Mit der Erkenntnis dessen, was es war, das Blake ihr da soeben mitteilte, kam auch das Verständnis über Levis Verhalten, warum er so genervt, regelrecht gereizt auf ihre hoffnungsvolle Tiraden reagierte. Tatsächlich kam sie sich nun, da dieses Wissen über sie fegte und in ihrem Bewusstsein gänzlich einzuhüllen schien, nicht nur naiv vor, sondern auch kindisch in ihrer Freude, die zu einer außergewöhnlichen Euphorie herangewachsen war, die sie alles, was sie tat, mit tausend Prozent anpacken ließ. Dass das anstrengend war, spielte womöglich nur der Situation in die Hände. Trotzdem sank Sam reglos auf die Zweisitzercouch und strich sich benommen langes Haar über ihre Schulter. Nur wenige Sekunden danach spürte sie Bradleys Pranke auf ihrer Schulter, als Zeichen stummer Zuneigung und Trostes, aber Sam starrte auf die Hände Blakes, die unberührt wirkend weiter die Zigaretten drehten; wie er das weiße Papier in geübter Gewohnheit leicht in seinen Fingern knickte und mit genau der richtigen Menge Tabak befüllte um dann das Ganze leichtfertig und schnell zusammenzurollen. Sam bekäme das in fünf Jahren nicht so schön und ebenmäßig hin, wie Blake, doch Blakes Finger waren Gitarrengeübt und besaßen eine feinmotorische Fertigkeit, die sie immer wieder erstaunte.
Jetzt gab es aber nur eine Frage, die sie beschäftigte.
„Wie lang wisst ihr schon davon?“
Ihre Augen suchten in den Gesichtern der Freunde nach Antworten und Bradley, der sich durch seinen langen Bart fuhr, den er mittlerweile an der Spitze grün trug, schenkte ihr ein knappes Lächeln.
„Ich habe es erst heute Morgen zufällig von Alexis erfahren.“
Zufällig, hmn?, schoss es ihr missmutig durch den Kopf, ohne, dass sie Bradley durchaus einen Vorwurf daraus machen konnte. Es frustrierte sie manchmal, wie eng sein Kontakt zu der Ex tatsächlich noch war, aber nachdem sie erfahren hatte, wie das mit Alexis und ihm auseinandergegangen war, was für eine Rolle Logan darin spielte, fragte sie sich, ob die Anziehung der beiden immer noch zu groß war, dann und wann.
„Scheißegal, wie lange es wer schon weiß. Fakt ist, der wird uns nicht anrufen, weil er seine Wahl bereits getroffen hat und sie fällt nicht auf uns, also können wir auch einfach darauf scheißen“, murrte Levi und zündete sich die Zigarette zwischen seinen Lippen mit geneigtem Kopf an einem entflammten Streichholz an.
„Aber warum denn darauf scheißen, wenn’s eine Chance ist“, antwortete sie dann leise. „Ich meine, scheiße, man wird sich doch mal noch freuen dürfen.“
„Okay, aber hat dir deine Vorfreude irgendetwas gebracht? Wir sind einfach zu mies!“
„Genau das ist es, wisst ihr?“, sprach Blake, der dabei war, seine Zigaretten in sein silbernes Etui zu sortieren. Er klemmte sich final noch eine hinter sein Ohr, entschied sich aber, keine zu rauchen. Stattdessen hob er dann den Blick und das erste Mal konnte Sam das Blau seiner Augen unter den Schatten hervorstechen sehen und das, was sie dort sah, war nichts, dass sie lesen konnte. Blakes Züge waren beherrscht, doch das war nichts Neues; er hatte sich erstaunlich gut im Griff, wenn er keine Zugeständnisse machen wollte und Sam, die nichts auf ihrer Mimik, je so richtig und wahrhaftig verbergen konnte, verzweifelte oft genug daran, nicht zu wissen,was es war, das in ihm hervorging, wenn sie in intensiven Unterhaltungen seine wahre Meinung hervorzukitzeln versuchte. Dass er das manches Mal einfach nicht wollte und mit diesem starren, regelrecht versperrten Blick nicht wollte, konnte sie regelrecht in den Wahnsinn treiben. Aber Sam meinte, in seinen Augen so etwas wie resignierte Entnervtheit zu sehen; es vermachte ihm in dem Moment, als er sich langsam erhob und seine Knochen kurz Knochen ließ, etwas Müdes
„Dieses ewige Gestreite, diese unnötigen Kabbeleien und Ungeduld in allem. Ich dachte, ihr macht Musik, weil ihr es liebt, weil es nichts anderes auf dieser Welt gibt, das ihr wirklich könnt? Wenn man euch so reden hört, könnte man meinen, ihr seid auch nur wie die ganzen anderen Famehuren, denen es um den Profit und darum, wie sie sich am besten vermarkten können.“
Sam wäre beinahe die Kinnlade runtergeklappt und gerade plusterte sie die Wangen auf um Blake den gegenwind zu verpassen, den er ihrer Meinung nach für so eine schändliche, unfaire und vor allem unwahre Behauptung verdient hätte, schnitt Bradley wieder ins Wort, ernst und ruhig, und er nickte dabei.
„Blake hat Recht. Sorry, Sam, sieh mich nicht so an, aber Blake hat einfach Recht.“
„Seit wann ist es bitte verwerflich für seine Träume zu brennen?“, spie sie nun aus und hörte sich sicherlich verzweifelter und hilfloser an, als sie es meinte. „Ich will das, okay? Ich will es hart. Ich will es mehr, als irgendetwas anderem in meinem Leben!“, donnerte sie nun inbrünstig. „Und ich lasse mir nicht vorwerfen, dass es nicht legitim wäre, dafür zu kämpfen. Sorry, aber mir fliegt es halt nicht zu!“, fauchte sie in Blakes Richtung, vorbei an Bradley, doch Blake begegnete ihrem Blick ungerührt. Nüchtern. Erwachsen. Es gab sie, die Momente, an denen er ihr vorkam, wie ein Fremder, nicht wie ihr Freund, und dieser hier zählte absolut dazu und Sam nervte es so sehr. Warum konnte er denn nicht normal mit ihr reden?
„Du hast dein Leben lang für den Schrank gesungen und fängst erst seit letztem Jahr an, Fuß zu fassen. Gesang ist Handwerk; Bandsache ist Handwerk“, beharrte Blake jetzt, der nun energischer klang, als sie ihn aufgefasst hatte. Sie versuchte, seine Stimmlage zu deuten; hatte das Gefühl, er war auf irgendeine Art und Weise böse mit ihr und verstand nicht einmal, wieso. „Du hast dieser Band seit der Sekunde an, seitdem sie besteht, nicht die Möglichkeit gegeben, zu wachsen.“
„Das ist doch Unsinn“, widersprach Sam jetzt irritiert und blickte zu Bradley und Levi, in der Hoffnung, einer der beiden würde ihr hier zur Hilfe eilen. Doch Levi rauchte nur weiter, finster, als würde sich die Atmosphäre um ihn herum einschwärzen und Bradley sah so aus, als würde er auch hier mit Blake übereinstimmen.
„Das ist Unsinn!“, betonte sie vielleicht auch deshalb nachdrücklich und bemühte sich, ihre eigene Emotionalität nicht überschwappen zu lassen, was leichter gesagt, als getan war. Sie würde am liebsten in Tränen ausbrechen. Zu sagen, sie verstand die Welt nicht mehr, eine Untertreibung ungewohnten Ausmaßes. „Das“, sie versuchte, das Zittern ihrer Stimme zu kontrollieren, „ist wirklich Unsinn. Von Anfang an netzwerke ich, versuche, so wie ihr übrigens auch, uns Konzerte und andere Auftritte zu ergattern und-„
„Das meint er nicht“, meinte Levi beängstigend ruhig. Sam sah ihn verwirrt an.
„Bands brauchen genauso Zeit zu wachsen und sich zu finden. Manche finden ihren Sound gleich und arbeiten sich tief in ihn rein, aber andere müssen erst experimentieren, wie sie es machen möchten und müssen sich darin finden. Fury hatte bisher weder die Möglichkeit, sich tiefer in etwas reinzuarbeiten, noch zu experimentieren. Das ist mit dir einfach nicht möglich. Du willst einfach nur mehr, mehr, mehr, ohne… ohne dir überhaupt im Klaren zu sein, wohin du hinwillst und versuchst und, genau das Gleiche aufzuzwängen und das, Sam“, sagte Blake nun, „das ist Bullshit.“
Mittlerweile war herauszuhören, dass er verärgert war, vielleicht sogar sehr, das Ausmaß war für Sam nicht zu erhören, trotzdem sackten Sams Schultern nun zusammen. Sie starrte auf die Wasserflasche, die sie in ihrer Hand hielt und versuchte, den verletzten Stolz, den Blake gerade über dem Fußboden zertreten hatte, erneut zusammenzuklauben. Er beherrschte das gut, stellte sie fest. Es war immerhin nicht das erste Mal. Auch nicht das zweite Mal. Sie biss sich auf ihre Wange um jetzt nichts zu sagen, dass sie später bereute.
Die Tatsache, dass man Logan und Konsorten einen Deal angeboten hatte, etwas, dass ihr in die Glieder gefahren war, wie Blei. Es lähmte sie und vergiftete sie von innen heraus, nach und nach, das spürte Sam beinahe körperlich. Ihre Finger verkrampften sich um das Glas.
„Fury ist noch nicht bereit für einen Deal oder ein professionelleres Engagement dieser Art und ich habe versucht, es dir die letzten Male so schonend wie möglich beizubringen, immer und immer wieder, aber du hörst mir nicht zu, weil es dich nicht interessiert. Vielleicht ist das die Sprache, die du verstehst. Fury braucht Zeit“, wiederholte er nun und unterbrach sich mit einem fahrigen Zug an der Zigarette. „Du brauchst noch Zeit. Und daran änderst du nichts. Aber dein Verhalten verpestet den ganze Kreativgeist, das, was eine Band antreibt und das… scheiße Sam, das muss einfach aufhören.“
Sam fühlte sich so, als hätte man ihr kaltes Wasser ins Gesicht geklatscht und dann nochmal zur finalen Ohrfeige ausgeholt und es war egal, wie sehr sie sich gegen diesen Schlag zu wappnen versuchte, er kam trotzdem und er traf sie auch mit genau der errechneten Härte – und schmerzte dann trotzdem mehr.
Blake rauschte aus dem Zimmer, den Gitarrenkoffer auf dem Rücken und sich eine Sonnenbrille auf die Nase schiebend, als er den Raum verließ. Sam spürte Bradleys Blick, sah ihn aber nicht an und als er sich mit einem „Wir warten draußen“ dazu entschloss, Blake hinterherzugehen, war es Leere, bleiern und schwarz, die sie empfing, als die beiden Männer den Raum verlassen hatten, die Männer, die älter, erfahrener und versierter in ihrer eigenen Kreativität und ihren eigenen Instrumenten, als sie es war und vielleicht je sein würde, fühlte sie sich dumpf. Auf die dunkle Holzmaserung des niedrigend Tisches starrend, wartete sie darauf, dass die Tür ein weiteres Mal aufging, doch als der Stoff der Couch neben ihr etwas einsank, war es Levi, den sie neben sich spürte.
Er reichte ihr wortlos seine Zigarette und Sam nahm sie ebenso wortlos an, aber das Bedürfnis, etwas zu sagen, schnürte ihr paradoxerweise so die Kehle zusammen, dass sie gefühlte Minuten einfach nur so zusammen da saßen, schweigend, gemeinsam rauchend, beide auf den Tisch starrend, als hätte er nicht nur eine Antwort, eine Richtung, sondern auch eine Lösung parat.
Als sie dann ein leises „Tut mir leid“ herauskrächzte, schüttelte Levi den Kopf.
„Nein, vergiss es, mir tut es leid. Ich habe mich wie ein Arsch verhalten.“
Sam neigte leicht den Kopf, in Zustimmung seiner Worte und eigentlich rechnete sie fest mit einem Schmunzeln, dass nicht nur die Situation, sondern auch die Worte entkräftigen würde, aber auch das blieb aus. Die Schwere der Situation wich nicht.
„Ich bin nur so sauer auf ihn, verstehst du?“ Seine Hände zitterten im Takt seines schnell wippenden Beines.
„Auf wen?“, murmelte Sam, bevor sie erneut an der Zigarette ziehen konnte. Die Glut glomm dabei so stark auf, dass die gebildete Asche von alleine abfiel und sich flockend über dem Boden verteilte.
„Auf Blake“, antwortete er finster. „Mir geht sein Verhalten schon länger auf den Strich. Mich nervt es, verstehst du, dass du, wir“, verbesserte er leidenschaftlich, „dafür verurteilt werden, mehr zu wollen. Gleich mehr zu wollen. Sicher, Bradley und er sind in Bands, seitdem sie Teenager waren, junge Teenager, kaum dreizehn oder vierzehn Jahre alt, aber nicht jeder hatte dieses Privileg und nicht jeder hat noch zig Jahre um sich auszuprobieren. Ich meine… irgendwann schlägt der Alltag auch mal zu. Irgendwann muss eine Ausbildung, eine Arbeit, irgendwas her und dann kann man sich nicht mehr so krass darauf fokussieren; so läuft es einfach nicht. Dass er das jetzt so vereinbaren kann, mit Arbeit, mit dir, mit der Band, mag ja schön und gut für ihn sein, aber er lernt im Gitarrenspiel einfach nichts mehr dazu, er schürft sich einfach nur weiter, verbessert sich, probiert rum. Aber seinen Grundstil hat er schon gefunden. Das wir da noch nicht so fein sind, ist doch klar. Aber deswegen nicht wissen zu dürfen, was man will… das fuckt mich so ab.“
Sam schwieg, als seine Worte auf sie einwirkten.
„Lass dir die Scheiße nicht gefallen.“ Er sah sie jetzt an, von der Seite, suchte aber nicht ihren Blick. Selbst wenn dachte Sam, dass sie sich dazu gerade wohl nicht in der Lage sähe, auch wenn seine Worte ihr tatsächlich so etwas wie wohligen Rückhalt gaben, den sie an dieser Stelle nicht erwartet hatte. Es tat gut, nicht das Arsch zu sein, als das Blake sie gezeichnet hatte und es war gut, zu wissen, hier nicht alleine zu sein. Sam öffnete ihre Hand und schob sie ihm sachte ihn. Er nahm sie. Wortlos. Sie war leicht schwitzig, aber Sam störte sich nicht daran. Er drückte sie fest.
„Du darfst träumen und wollen, so viel du willst. Du hast ein Recht darauf, das realisieren zu wollen. Ich verstehe nicht, warum er uns das dauernd absprechen muss. Ich will den Shit auch. So sehr. Ich habe keinen Bock mehr, mich dauernd dafür rechtfertigen zu müssen.“
Als Levi verstummte, tat er das dieses Mal endgültig. Schweigend kramte er noch eine Zigarette heraus und schweigend rauchten auch sie diese gemeinsam, Hand in Hand, als wären sie nicht einfach nur Freunde, Seelenverwandte, sondern als wären sie die letzten Überlebenden, die nur mehr nur noch sich hatten und einander brauchten. Vielleicht mehr, als Wasser und Nahrung. Zumindest in diesem Moment.
Sams Sprache kehrte nicht zurück, als sie im Halbdunkl saßen und Sam hatte auch keine Lust, ihre Gedanken mitzuteilen. Er verstand sie, wusste Sam und sie spürte, dass er auch so um sie wusste, ohne dass sie sie groß und unter behändem Kraftaufwand ausholen und sie ihm darlegen musste.
Levi war da, weil er verstand, so wie er immer der gewesen war, der verstand, der da war.
Als sie später zu Blake und Bradley stießen, die sich im Innenhof in einer angeregten Unterhaltung mit ein paar Neulingen verloren hatten, sprachen sie kein Wort. Doch Blake zu sehen, augenscheinlich so fröhlich, kommunikativ und hilfsbereit und zu sehen, wie sie darauf reagierten, vor allem ein paar der Mädchen, ließ ihr Herz nur noch mehr zusammenziehen.
Sie wusste nicht, wann es sich so krass geändert hatte, zwischen ihnen, sie wusste es wirklich nicht, zumal sie in kaum etwas mehr Mühen, Leidenschaft, vor allem Liebe gesteckt hatte, wie in ihre Beziehung zu diesem Mann, in den letzten Monaten.
Aber er war fremd, als sie ihn dabei beobachtete.
Der Ausdruck in seinen Augen nichts, das sie noch kannte oder kennen wollte.
Und Sam verstand, das sie nicht mehr zu retten waren, er und sie.


*



Sam starrte Blake an, als wäre es das erste Mal, dass sie ihn sah. Als wäre der Moment, damals, auf der Bühne in dem kleinen Laden Lythams, nur eine rege Traumillusion, die sie genau das hatte sehen lassen, was sie zu sehen bedurfte, neigte sie ihren Kopf zur Seite. Blake nun so zu sehen war andersweltlich; die Art, wie er sich gegen den Rahmen des schmalen Durchgangs lehnte, der die Küchennische in das überladen kuschelige Wohnzimmer führte, war ebenso endgültig, wie seine eigenen Worte. Sam hatte das Gefühl, als würde ihr der letzte Splitter ihrer Seele entweichen, deren Bruch sie bisher weder verspürt, noch wahrgenommen hatte. Doch als Sam kraftlos auf die Lehne des durchgesessenen Tweedsessels sank, die Arme schlaff an ihrer Seite hängend, die Augen so unverwandt ungläubig auf ihn gerichtet, spürte sie ihn, diesen Bruch, ihrer Seele – und sie spürte, wie die Splitter sich in diesem Wimpernschlag des Moments immer weiter auseinandertrieben und sich in ihr Fleisch trieben.
Trotzdem blieb sie regungslos.
Die Lawine, die seine Worte losgetreten hatten, als Schmerz zu verspüren, der ihre Hände verkrampfte, etwas so Sonderbares. Trotzdem sollte es sie nicht wundern, nicht? Es war immerhin Blake. Nur Blake hatte diese Macht über sie gehabt.
Nur er.
Immer.
„Du gehst“, wiederholte Sam leise. „Aber…“, sie schüttelte leicht den Kopf. „Das ergibt doch gar keinen Sinn. Oder? Ich meine…“, sie versuchte, sich zu fassen, aber es misslang. Nein. Es ergab keinen Sinn. Wie konnte man als Mitglied einer Band angeworben werden, ohne ihr Mitglied zu sein? Blake hatte nur eine Band. Blake hatte Fury. Blake hatte sie.
Und er hatte Sam.
Reichte das nicht?
Ihre Augen versuchten etwas in den Zügen seines Gesichtes zu erforschen, dass ihr Aufschluss auf die Situation geben könnte. Der Abend war beschissen genug gewesen, redete sie sich ein; dass er so endete, war einfach abseits der Möglichkeiten. Levi und Blake hatten sich noch so gestritten, dass der musikalische Nachwuchs sich mit bedeutungsschweren Blick aus dem Innenhof wieder in das Innere des Jugendhauses zurückgezogen hatte; leise, so diskret wie möglich, dabei Blicke austauschend, die nicht deutlicher sein könnten.
„Warum hast du es vorhin nicht erzählt? Als wir alle zusammen waren. Als wir den Gig vorbereitet ha-„, Sams Stimme brach ab. Sie hatten ihr Bühnenset bei den Veranstaltern eingereicht und dafür gesorgt, dass ihre technischen Einstellungen weitergereicht wurden. Sie hatten versucht, sich zusammenzuraufen, zusammen Fish and Chips am Strand gegessen und den Stress, den Ärger der sanften Ruhe der Wellen anvertraut und versucht, sich wiederzufinden. Als sie mit Blake nachhause gelaufen war, Levi und Bradley zum Abschied noch über die Schulter winkend, Hand in Hand, mit dem Sonnenuntergang im Rücken, war die Stille, die zwischen ihnen lag, nicht mehr brodelnd oder keilend; nichts, dass sich in den Sphären ihres Kopfes manifestierte und an ihr labte. Sam hasste es, sich mit Blake zu streiten, hasste es, was es mit ihr tat, wieviel Schlechtes es wahrhaftig an ihr hervorzubringen versuchte.
Aber sie hatte gehofft, dass Gefühl des Nachmittags, jenes Gefühl, dass ihnen nicht mehr zu helfen war, als Paar, als Liebhaber, aber auch als Lebenspartner, einfach nur aus der Hitzköpfigkeit des Moments geboren worden war, doch jetzt sah sie die Kluft wieder. Sie realisierte sie. Verstand sie.
Tränen wollten sich ihre Kehle hinaufkämpfen und Sam versuchte, sie hinunterzuschlucken.
„Das Angebot stammt von einem der größten Plattenlabels auf dem Markt“, sprach Blake dann. „Das Sublabel ist frisch gegründet und sie wollen es in der UK groß aufbauen und für den internationalen Markt vorbereiten. Das ist eine Chance, die nur einmal im Leben kommt, Sam. Logan möchte mich bei dieser Sache dabei haben“, seine Stimme war mild und sein Blick ebenso sanft, beinahe nachsichtig mit ihr, dass sie am liebsten Feuer über ihn regnen ließe. Doch seine Worte, waren fest, die Art, wie er sprach, keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung.
„Dein Entschluss steht also schon“, sagte sie leise in das Wohnzimmer hinein, in dessen Abendschatten Sam begonnen hatte, zu frösteln.
„Es ist meine Chance“, antwortete Blake. „Du weißt, was solche Chancen bedeuten.
„Aber…“, Sam schüttelte den Kopf und dann explodierte es aus ihr heraus, „aber ich dachte, wir wären deine Chance! Ich! Nicht Logan und diese verfickte Scheißband, die Probleme macht, seitdem du unter der Flagge Furys gespielt hast. Logan versucht von Anfang an, die Sache madig zu machen und zu zerstören und jetzt hat er offensichtlich gewonnen! Ich dachte, ich kann auf dich zählen!“ Der Verrat saß tief in ihrem Brustkorb und jetzt trommelte er ein verzehrendes Lied, laut und immer wilder, weil hier sprach nicht nur Sam als seine Freundin, sie sprach auch als seine Leadsängerin, als ein Teil einer Gruppe, die er nun einfach so von sich streifen wollte, weil etwas Besseres, etwas Größeres dahergekommen war.
„Dass du noch nicht mal den Anstand gehabt hast, uns davon zu berichten!“, brach es weiter aus ihr heraus und Sam merkte, dass Tränen sich in den Winkeln ihrer Augen gesammelt hatten, die von dem kühlen Abendwind über ihre Wangen geschickt wurden, der sie von er geöffneten Balkontüre heraus zu kalt erreichte. Sie rieb sich die Arme.
„Und was dann? Wie wäre es dann deiner Meinung nach weitergegangen?!“
Sam starrte ihn an und wollte ihm entgegenwerfen, dass das nicht der Punkt war und dass sie natürlich versucht hätten, dagegen zu wirken, weil sie ihn nicht verlieren wollten, weder als Gitarrist, noch als Freund, noch als ihr Freund, aber sie verstand, dass es sinnlos war, derart zu argumentieren. Aber das war nicht das, was sie meinte.
„Ich… habe wochenlang auf diesen Anruf gewartete“, sagte sie dann. Die Kraft entwich ihren Worten und alles, was ihr noch übrig blieb, war marmorierte Tonlosigkeit, die die Worte entzweite. „Du hast mir Hörner aufgebunden. Du hast mich vorgeführt.“ Und das war vielleicht das, was am meisten wehtat.
Sam rutschte von der Lehne auf die Sitzpolsterung und lehnte sich seitlich zu einem breiten Beistelltisch und fischte nach dem Joint des gestrigen Abends, den sie nur halb geraucht hatten, bevor die Lust nach Sex und Nähe sie überwältigt hatte und Blake sie nahm, dort, wo sie waren, auf der niedrigen Couch, zärtlich und langsam, ihre Schöße in melodiösem Einklang wiegend. Als sie das Feuerzeug klicken ließ und der scharfe Geruch von Marihuana in ihre Augen quoll, war es so, als könne sie damit auch den gestrigen Abend aus ihrem Bewusstsein brennen.
Sam spürte, das Blake sie beobachtete. Vermutlich war es Streit, den er sich erwartet hatte, seine ganze Körperhaltung, ihre ganze Art, das, was er also kannte, sprach dafür, aber Sam war müde. So müde. Jeder Satz, der ihr kam, ein empörter Widerspruch, ein verzweifeltes Flehen, den sie dann doch hinunterschluckte, weil sie wusste, dass sie Blake nicht ändern würde.
Sie konnte ihn nicht für Dinge sensibilisieren, die er nicht selbst derart begriff – und Sam wollte sie ihm nicht mehr begreiflich machen.
Stattdessen rauchte sie und weinte stumme Tränen. Und vielleicht war der Anblick auch so unerträglich genug, dass Blake deswegen zu ihr kam, Schritt für Schritt, und dann vor ihr auf die Knie ging und sich mit einer letzten, finalen Wucht konfrontierte, dass sie sich an dem Joint zwischen ihren Fingern regelrecht festhielt.
„So eine Chance bekomme ich nie wieder“, flüsterte er ihr entgeen und obwohl Sam seinem Blicken aus dem Weg zu gehen versuchte, spürte sie doch deren warmen Glanz ihren Körper streichen und diese Liebkosung, die dahinter lag, machte es nur noch schlimmer. Sam zog ihre Knie an sich heran und presste die Augen zusammen und schickte diese verräterischen Tränen dabei immer wäre über ihre Wangen.
„Ich habe mit meinem Leben nichts angestellt. Ich kann nichts“, wisperte er, „ außer zu singen und Gitarre zu spielen.“
Während seine Worte sich über ihre Seele schmiegten und kleine Messerstiche dort verteilten, wo sie Kontakt fanden, weil Sam verstand, so sehr, so tief in ihr verankert mit der bloßen Substanz ihrer Existenz tatsächlich und wahrhaftig verstand, hallte das Gesagte in ihr wieder und warf sich in ihrem Kopf hin und her.
Singen.
Der Wimpernkranz ihrer Lider teilte sich und das glasige Dunkelbraun ihrer Augen brach auf das helle Blau seiner Augen und es war ihr, als sähe sie da etwas an ihm, das sie vorher noch nie wahrgenommen hatte. Die Erkenntnis, die sie umnachtete, nahm ihr das Gefühl aus ihren Händen und sie merkte, wie die Tränen versiegten.
„Du singst?“, wisperte sie zurück und als Blake daraufhin lächelte, so nachsichtig, so matt darin, aber mit dieser Trauer in seinen Augen, die ihr wund entgegenbleckte, erhielt sie Antwort genug. Trotzdem sagte er: „Du hast nie gefragt“, als wäre das eine Erklärung; als könnte sie je eine sein, in der Tatsache, dass er ihr diesen einen Teil seines Selbst verschwiegen hatte. Sam senkte den Blick und entschwand somit seinen Augen und als sie ihre Wange auf ihrem Knie ablegte, wanderte er ihr Blick hinaus, über das gusseiserne Geländer des Balkons hinweg und hinaus in das Schwarz der Nacht, das umnebelt war von sanften Wolken, die Mond und Sternenlicht verschluckten.
Sie versuchte es sich, vorzustellen, Blakes Gesang, wie sich die Geschmeidigkeit seiner Stimme zusammenfügte und erhob, aber es wollte sich kein Bild in ihrem Kopf bilden, dass an diese Vorstellung heranreichte und kein Musiker, den sie kannte, fiel ihr ein, den sie mit seinem Gesang assoziieren könnte.
Blake blieb stumm in ihren Gedanken, in denen sie sich ihn ausmalte, wie er hier saß, mit ihr, die Gitarre in der Versiertheit seiner Hände und seine Stimme erhoben. Nur für sich selbst. Nur für sie. Sam.
Für einander. Für das Uns, das jetzt an ihrem Fußende zersplitterte.
Sie hatte ihn noch nie singen gehört. Sam war sich sicher, dass es nichts schlimmeres gab, dass sie je von ihm hätte hören können, aber zu wissen, dass er weiterhin an ihrem Fußende verweilte und ihr Zeit, ihr diesen Freiraum gab, machte sie schier wahnsinnig. Er hatte es ihr nicht gesagt. Er hatte es ihr nicht gesagt.
Warum denn nicht?
Die Wahrheit, dass Logan davon wusste und auch Alexis, sicherlich auch Bradley, womöglich sogar auch Levi, entzweite ihr das Herz. Zu hören, dass es diese Chance war, an die er seine Hoffnung für seine Zukunft kettete, fernab von ihr von Fury, war deswegen ein Todesstoß, weil Sam nicht geahnt hatte, nie, dass ihr Herzenswunsch insgeheim auch seiner wahr.
„Ich kenne dich nicht, oder? Nicht wirklich zumindest“, fand sie dann ihre Stimme wieder. „Wie kann es sein, dass ich mich mit jeder Faser meines Seins und meiner Existenz in deine Hände lege, nackt und roh und hässlich, genau so, wie ich bin, ein kompliziertes Stück, dass nicht weiß, was es ist oder je sein kann und dann…“, sie nahm einen kurzen Zug, „bist da du. Und selbst ein Jahr später lebst du immer noch in den Schatten deiner eigenen Welt und bist für mich einfach nicht zu greifen.“
„Sam-„
„Nein“, widersprach Sam leise und fest. „Du hast es mir nie erzählt. Es hat Möglichkeiten gegeben. Unzählige. Es mir nicht zu sagen, ergibt keinen Sinn. Es….“, sie schüttelte den Kopf, dieses Mal in ihrer eigenen Bestimmtheit fest und eindeutig. „Es ergibt keinen Sinn.“
Der Drang, sich hier und jetzt aus dem Leben zu reißen, war ein großer. Das, was für andere einfach nur eine weitere Entdeckung des Facettenreichtums des Partners wäre, etwas, das man überrascht feststellen und freudig begrüßen könnte, Verrat in Sams Welt, für den es keine Rechtfertigung auf dieser Welt geben mochte. Diesen Antrieb in sich selbst zu verbergen, zu verstecken, regelrecht, Hochverrat.
Sam wurde schlecht.
Als sie sich aufrappelte, entwich der Rauch abrupt ihren Lungen. Sam legte den Joint achtlos in den Aschenbecher und schob sich an Blake vorbei, der in seiner Position verharrte, aber sie dennoch gehen ließ, als sie von der Lehne nach ihrer Strickjacke fischte und in die schlüpfte.
„Sam“, dehnte er nun ihren Namen, aber sie sah ihn gar nicht an, schüttelte nur wieder mit dem Kopf, während sie die Knöpfe bedachte, die sie mit zittrigen Fingern schnell zu schließen versuchte.
„Warum hast du es mir nicht gesagt?“, wiederholte sie nun und Sam fand einen Schneid in der Tonlage wieder, den sie vergessen geglaubt hatte. Aber als sie den Kopf hob und ihn ansah. Sah, wie er dort kniete und ihr das erste Mal auswich, wusste sie, das hier all ihre Probleme begraben lagen, die sich je zwischen ihnen aufgetürmt hatten; als wäre es der Ruf der Gezeiten selbst, der sie immer wieder auftürmte und abflachen ließ. Die Tatsache, ihr das Gefühl gegeben zu haben, dass sie das Problem war, ihre Einstellung, etwas, das sie wütend machte. Trotzdem fand sie keine Worte dafür.
„Warum!“, verlangte sie nun.
„Weil es keinen Unterschied gemacht hätte. Nicht für Fury. Nicht für das, was du wolltest.“
„Du bist echt der Wahnsinn, weißt du das?“, presste sie hervor. „Der helle, pure Wahnsinn.“ Wieder schüttelte sie den Kopf, wieder und wieder und wieder und wieder, als könne sie sich damit überzeugen, aber das, was hier geschah, mochte sie alles nicht glauben.
„Wie“, platzte es aus ihr heraus und sie musste sich zusammenreißen, nicht zu laut zu werden, „wie soll es denn jetzt mit uns weitergehen? Hmn? Magst du mir das mal verraten? Wenn du alles zu wissen scheinst, alles einschätzen kannst, weißt, was jeder will und du angeblich nicht, dann beantworte mir das, Blake, weil weißt du was? Ich sehe absolut nichts“, eine matte Gestikulation umschrieb ihre Worte. „Ich sehe keinen Weg und keine Möglichkeit mehr, ich“, sie brach ab. „Ich habe alles gegeben. Verstehst du das? Ich habe alles gegeben, was ich habe. Ich habe alles in diese Beziehung geschüttet und ich fühle mich leer und ich… ich kann einfach nicht mehr.“
„Komm mit mir“, antwortete Blake, der sich von dem Boden auflas. „Ich will dich dabei haben. Bei mir. An meiner Seite. Als meine Ehefrau. Komm mit mir“, beschwor er sie und stand mittlerweile so nah bei ihr, dass sie seinen Atem ihre Wange streichen spürte, als er sich zu ihr neigte, beschwörend, betörend. Er umfasste erst ihre Handgelenke, um ihr Nesteln zu unterbrechen und seine Berührung nicht nur zu realisieren, sondern auch zu verspüren, ließ Sam nur noch mehr am ganzen Leib zittern. Dann fuhren seine Hände um ihre Hüfte und seine Stirn lehnte sacht an ihrer.
Seinen Geruch aufzusaugen war schier unerträglich.
Sam wusste, was es was er da sagte. Was es war, worum er sie bat, unüblich, schlicht, auf seine typische, ganz unweigerliche Art und Weise und sie wusste, vor nur einem Jahr, in der tilgenden Einsamkeit ihrer eigenen Gedanken… die Frau eines Mannes wie Blake zu sein, hätte sie geerdet. Nicht einfach nur beglückt, sondern erfüllt, weil sie sich sehen konnte, in den Stürmen des Lebens, Seite an Seite nur mit ihm – das Meer im Gesicht und den Wind im Rücken. Seite an Seite.
Aber Sam wusste, was es war, dass Blake in ihr sah, wenn er sie darum bat; dass er sie hinter sich haben wollte und in dem Leben, das er nun anzustreben begann, nur Plätze im Hintergrund für sie freiräumen würde können. Die Frau an seiner Hand und in seinem Rücken, aber nicht Seite an Seite.
Nicht als die Frau neben ihm, mit dem Mikrofon vor ihr. Nicht so, wie Alexis, die gelockte Frauenpower, in ihren schillernden Glitzerkleidern und dem herausfordernden Blick, die vor einer ganzen Menge auf die Knie ging und sich ekstatisch in Blakes Gitarrenspiel wandt.
Blake wollte Sam für sich. Ganz alleine.
Und als sie sich in diese Wärme hineinlehnt, in das Versprechen, das er gerade bereit ist, zu vollziehen, wünschte sie, sie wäre noch das Mädchen, von vor einem Jahr. Aber das war sie nicht mehr und Sam nicht mehr bereit, ihm das zu geben – sich selbst aufzugeben, für ihn, für diese Liebe, für diesen umhüllenden Traum.
Sie liebte ihn. Aber Sam liebte sich selbst mehr.
Als Sam sich aus Blakes Griff befreite, tat sie das mit einer sanften Bestimmtheit, die endgültig war. Er hielt sie nicht fest, ging aber auch keinen Schritt zurück. Er blieb ihr nahe, um den letzten Streif ihrer Nähe erspüren zu können, denn er wusste, was ihr Zurückziehen bedeutete.
Sam spürte, dass sie weinte, als sie diesen Entschluss traf, nicht nur für sie beide, sondern besonders für sich und als sie es vollbrachte, ihren Blick doch noch zu heben und ihn anzusehen, sah sie, dass auch in seinen Augen Tränen glitzerten; sah, wie das Wohnzimmer, dass sie zu ihrem Zuhause kreiert hatten, sich hinter ihm auf einmal leer und kalt erstreckte.
„Ich werde dich nicht anflehen“, flüsterte er und Sam lächelte traurig und schniefte, aber sie wischte ihre Tränen nicht beiseite.
„Ich weiß“, hauchte sie zurück. Und Sam würde nie wollen, dass er das täte. Sie schlang die Arme um ihren Körper um das Alleinsein, das sie erwählte, zu begreifen. Noch erahnte sie es nicht, was es bedeuten würde, ihn zu verlieren, nicht nur für ein paar Stunden und Momente, sondern für immer, aber sie konnte die Kälte dahinter erahnen; der Abgrund, der klaffend lauerte und ein stetiger Begleiter würde. Trotzdem reckte sie ihr Kinn vor und ignorierte die Tränen, die sich davon abperlten und auf den Teppich unter ihr versanken.
„Leb wohl, Blake“, wisperte sie. Und dann ertrug sie es nicht länger. Blake folgte ihr nicht in den Flur, wo sie nach ihrer Jacke und ihren Schuhen klaubte und er folgte er ihr auch nicht zur Türe, wo sie ihren Schlüssel nahm und ihre Zigaretten - ihren Geldbeutel auch.
Und er folgte ihr auch dann nicht, als sie aus seinem Leben trat, die Türe leise hinter sich in das Schloss klicken lassend und in die Ungewissheit eines kühlen Frühlingsabend trat und sich daran erinnerte, wie es war, heimatlos zu sein.
Wie es war, die Menschen zu verlieren, die man am meisten liebte.
Sie hatte es nicht vergessen, denn wie könnte sie je? Es hatte sich in ihre Knochen gefressen und bestimmte das Leben, das ihre Mutter besser abgetrieben hätte.
Als Sam eine halbe Stunde später vor der Türe Bradleys Apartments stand, wusste sie nicht, wie sie zu ihm gefunden hatte. Aber als er die Türe öffnete und sie ansah, brach sie schluchzend auf der abgetretenen Schwelle zusammen und verlor sich in der Welt, die heute wieder ein wenig kälter geworden war.


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Verfasst: Di 14. Nov 2017, 11:37 


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