Ich habe dich selten in einer Nacht andächtiger erlebt, als in dieser; in der Nacht, in der wir wieder Schüler waren und nur du und ich – niemand sonst. Mit zu viel Zigarettenrauch in unseren Lungen, als es uns guttäte, dem unzähligsten Bier an unseren Lippen, lagen wir da, in meinem Bett mit den quietschenden Federn und ließen uns das Heulen des Sturms in das Mark unserer Knochen fahren.
Es war unser Wiegenlied, deines und meines; wir haben es verinnerlicht und auch noch heute weiß mein Körper um diese Wahrheit, sobald Stürme tosen und Wellen anrauschen, Gischt getürmt und gewaltig an Land gepeitscht.
Deine Augen glitzerten, als würden sie von hundert Scheinwerfern gleichzeitig beschienen, als wir uns anvertrauten und als ich Fragen stellte, die dir wahrscheinlich niemand je zuvor stellte. Diese Wünsche und diese Träume die du hegtest, waren mehr als das, auch mehr, als der letzte Anker, der dich in dem Leben hielt, das du doch so sehr wolltest.
Es waren Ziele.
So viele einzelne Ziele, die sich zu einem Pfad, einem Weg verknüpften, der eine einzige, absolut klare Richtung zeichnete.
Voraus.
Mit vollster Kraft.
Mit jedweder Ressource, die du dafür übrig hattest, in einem Bestreben des Furchens, immer tiefer und tiefer und tiefer und tiefer schlagend, bis an die essentielle Substanz des Seins.
Ich frage mich heute, ob es hier, in der Zukunft unserer Jugend, noch so Künstler gibt, wie du einer gewesen bist, Sam.
Sie sind selten.
Verbrennen meist zu früh.
Denn als ich fragte, was dein Endgame sein sollte; was es war, dass du zu erreichen versuchtest, weil ich dein Treiben nicht nur sah, sondern verstand, dieselbe Verwurzelung mit Musik und dem rastlosen Gedanken, es ausleben zu müssen, hatte, wie du, hast du nur gelächelt.
So wissend.
Fast schon so altklug.
Und sagtet, „Es gibt kein Endgame. Es gibt nur den Weg. Und irgendwann ist da der Tod und wenn ich zurücksehe, will ich, dass hinter mir eine Welt auftürmt. Kein schlechtgepflasterter Pfad an irgendeinem schnöden Ort an der Küste Fuckingenglands.“
Fuckingengland.
Wir lachten.
So sehr.
Ich tue es heute noch.
Und erstaune jedes Mal ob dieser Wahrheit, die in dir lag und ich frage mich, ob Blake das wusste.
Ob du Gespräche dieser Art je mit ihm führtest oder ob es immer ich war, dem du am Ende die hintersten Ecken jener Orte deiner Seele zeigtest, an denen du all diese Sachen untergebracht hattest und dich von ihnen antrieben ließest.
Ich weiß, wie gut es dir tat, mich zu haben.
Du hattest immer das Gefühl, als würdest du mich unterschätzen, nicht wertschätzen, nicht genug, wie ich es verdient hätte, aber Sam?
Du hast gereicht.
Immer.
Trotzdem frage ich mich oft, ob es das war, was Blake einsam machte.
Ob es mit reingespielt hat in das, was er getan hat.
Und ich frage mich, wieso ich nicht derjenige war, der solche Gespräche mit ihm führte.
Ich weiß, er hätte sie mit mir geführt.
Immer.
Wenn ich es nur angestoßen hätte, sanft und ruhig, in einem Moment der Zweisamkeit, wie ich sie auch mit ihm so oft hatte, weiß ich, dass er sich mir geöffnet hätte.
Ganz so, wie er sich auch Logan gegenüber geöffnet hatte.
Wir waren Freunde, Blake und ich.
Gute.
Enge.
Innige.
Trotzdem weiß ich auch, dass ich kein Logan war und keiner bin und dass auch du, Sam, keiner gewesen bist.
Nie.
Mit keiner Faser.
Nie für Blake.
Und das war vielleicht das Problem.
Du warst nicht mehr das, was Blake brauchte.
Ich war nicht das, was er brauchte.
Und vielleicht lag unser Fokus, meiner, aber vordergründig deiner, zu sehr bei dir selbst.
Ich weiß, dass du dir diese Frage nie gestellt hast. Irgendwann überkam sie dich mit der Sicherheit einer einfachen, aber zerstörerischen Erkenntnis und ich weiß, wie sehr es an dir nagte, weil ich auch sah, wie du darunter littest.
Du bist hart mit dir ins Gericht gegangen.
Außergewöhnlich hart.
Hey, Sam?
Ich möchte, dass du weißt, dass deine Träume nie weniger wert waren.
Nie.
Und das du ein Recht auf diese hattest.
Genau so, wie du es dir erhofftest, genau so, wie du es dir zu erarbeiten versuchtest.
Genau so, wie du danach strebtest, so unablässig, so verbissen, so mutig.
Aber Blake hatte dieses Recht auch.
Und vielleicht liegt darin die eigentliche Tragik.
Denn niemals wird je jemand dazu in der Lage sein, etwas daran zu ändern.
Nicht einmal dann, wenn ich dazu in der Lage wäre, die Zeit anzuhalten und sie zurückzudrehen, in diese Zeit, in dieses folgenschwere Jahr, das uns die Jugend nahm und das Erwachsensein mit asphaltierter Wucht, wie sie nur die Realität zustande bringt, in unsere Glieder warf und uns zerschmetterte.
Aber ändern kann man es nicht.
Man konnte es nie.
Weil Liebe manches Mal nicht ausreicht.
Und danach alles verloren ist.