Das stete Rauschen der Wassermassen, wie sie sich in den Strand graben, und immer ein Stückchen mehr mitnehmen, als dass sie zu geben bereit sind, ist mehr, als nur ein Wiegenlied. Das tosende Donnern ihrer Wellen, windgepeitscht und unerlässlich, wie sie gegen die Steilklippen graben, sich immer und immer wieder mit einem Zorn daran zerwerfen, deinem eigenen ähnlicher, als du denkst.
Das Meer und du, ihr seid eine besondere Liebesgeschichte, Sam. Und so, wie es dich einst immer an deine eigene Mutter erinnerte, und deswegen Liebe und Furcht gleichermaßen in dir verankerte, erinnert es mich heute an dich. Ich höre deine Stimme darin und sehe deine Silhouette in dem weitentfernt liegenden Strich, der die Grenzen zum Horizont mit dem dunklen Schimmer des Wassers vermengt, und erinnere mich.
Ich sehe dich windzerzaust und so jung, mit einer Härte, die niemand dieses Alters haben sollte, und sehe darin deine eigene Stärke; dieses wilde, ungebändigte Ding, das du nie richtig verstanden hast.
Aber eine andere Wahl, als stark zu sein, hattest du nie.
Man gab sie dir nicht.
Seit dem Moment, an dem deine Mutter dich vorschickte, um zu klingeln, aber nicht nachkam, nie, und es die inbrünstige Abscheu gegenüber all den falschen Entscheidungen, die deine Mutter je fällte, war, die dich in einem einzigen Blick deiner Großmutter für immer traf und brannte, gab es nur diesen Weg für dich, wenn du dir je erhofftest, eines Tages frei zu atmen.
Und das hast du dir.
Jeden Tag.
Es dir erträumt.
Auch das jeden Tag ein Stückchen mehr.
Man kannte dich, weil das jeder tat, in dieser Zeit, in der es ein Skandal war, wenn der Rocksaum über die geheiligte Grenze der Knie rutschte, denn du warst das Kind, das niemand wollte. Das Kind, das man bei der Großmutter zurückließ, dieser verwelkten Schönheit einer garstigen Frau, die zu lächeln verlernt hatte, weil ihre Tochter dieser promiskuitive Schandfleck war, den jeder kannte und betuschelte.
Vielleicht hat sie dich deswegen auch so schuften lassen, als könne man dieses zweifelsfreie Erbe aus dir heraustreiben, in dem man dich beschäftigte und dich rackern ließ, auf den Knien und mit schwieligen Händen, während andere Kinder ihre hitzeverschwitzten Körper im kühlen Nass abspülten.
Man hätte dir ein Maß an Gebrochenheit immer attestiert. Hätte über allen Schikanen, die man über dich verhängte, trotzdem darin eine gewisse Tragik gesehen und irgendwann hätte man dich in Frieden gelassen. Spätestens, wenn ihr Leben weiterhin in diesen aufstrebenden Bahnen verlief, während man dir weiterhin den Kochlöffel über den Rücken zog, weil man dich beim Singen erwischte; beim Durchblättern von Katalogen und dem sehnsüchtigen Innehalten bei allem, was die Farbe Rot beherbergte.
Aber es war nicht da, dieses Maß, diese Gebrochenheit.
Sie fehlte bei dir. Immer.
Als ich dich zum ersten Mal sah, hast du gekämpft. Und in diesem Strudel aus umherfliegenden Haaren und geballten Fäusten lag die Essenz deines Charakters, deines Wesens, entblößt und klar für jedermanns Verständnis frei zu lesen.
Ich weiß nicht, ob sie es sahen, Sam. Aber ich sah es, dieses Ungebändigte und es erwischte mich mit dieser besonderen Wucht, denn man erwartete so etwas in dieser Blase kleinstädtischer Gepflogenheiten nicht. Nie.
Sie verunsicherte mich deshalb für diesen einen Moment. Auch die anderen.
Aber während die anderen Schritte zurücktraten und sich von dir abwandten, sich absichtlich vor dir verbarrikadierten, dem Sinnbild all dessen, was nicht zu sein hatte, schaffte ich es nicht, meinen Blick abzuwenden. Abzulassen.
Von dir loszulassen.
Denn da lag mehr in diesen sturmumtosten Augen. Mehr wie Abscheu, Hass und Konfrontationsbereitschaft.
Ich erkannte darin Einsamkeit.
Und sie erinnerte mich an mich.